Bonn im Januar 2018
Für ein zukunftsfähiges Deutschland, das sich den gesellschaftspolitischen, ökonomischen und technologischen Herausforderungen gewachsen zeigt, sollte die neue Bundesregierung mit einer kraftvollen Weiterbildungsoffensive die beträchtlichen Potentiale der Erwachsenenbildung nutzen – für gesellschaftlichen Zusammenhalt, für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und für die persönliche Entfaltung jedes Einzelnen.
Dringenden Handlungsbedarf sieht der Deutsche Volkshochschul-Verband e.V. (DVV) in den folgenden sechs Themenfeldern:
Weiterbildungspolitik
Bildungsaufgaben sind von übergeordneter Bedeutung und erfordern eine gemeinsame strategische Planung und operative Umsetzung. Der Bund muss in die Lage versetzt werden, sich in Abstimmung mit Ländern und Kommunen in der Weiterbildung strukturell und finanziell stärker zu engagieren.
Unser Appell:
Kooperativer Föderalismus
Damit Bund, Länder und Gemeinden in der Weiterbildung gesamtstaatliche Verantwortung wahrnehmen, sich auf gemeinsame Ziele und Maßnahmen verständigen und die Weiterbildungsoffensive in der kommenden Legislaturperiode gemeinsam tragen und finanzieren können, sollte das Kooperationsverbot aufgehoben werden. Im Sinne des grundgesetzlichen Anspruchs auf gleichwertige Lebensverhältnisse muss der Bund die Länder darin unterstützen, den staatlichen Bildungsauftrag umfassend zu definieren und die Weiterbildung als kommunale Aufgabe ausreichend zu finanzieren.
Weiterbildungskabinette
Um eine inhaltliche und fachübergreifende Abstimmung zwischen den mit Weiterbildung befassten Ressorts sicherzustellen, sollen horizontal (auf Bundesebene zwischen den mit Weiterbildungsfragen befassten Ressorts) und vertikal (zur Abstimmung von Weiterbildungsfragen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden) Kabinettsausschüsse zur Weiterbildung eingerichtet werden.
Enquete-Kommission „Zukunft der Weiterbildung“
Eine Enquete-Kommission soll eine umfassende und strukturierte Analyse der Realität der Weiterbildung in Deutschland vornehmen, Reformbedarfe identifizieren und erforderliche Rahmenbedingungen inklusive der Finanzierungs- bzw. Förderstrukturen aufzeigen.
Weiterbildungsbeteiligung
Die Weiterbildungsförderung muss über den Arbeitsmarkt hinaus reichen und im Sinne eines ganzheitlichen Bildungsverständnisses den Erwerb von Kompetenzen für eine souveräne Teilhabe am beruflichen und gesellschaftlichen Leben fördern.
Unser Appell:
Weiterbildungs-BAföG
Das Aufstiegs-BAföG soll zu einem Weiterbildungs-BAföG ausgebaut werden, das eine systematische Weiterbildung unterstützt, die der Persönlichkeitsentwicklung dient, wichtige Schlüsselqualifikationen fördert und zur bürgerschaftlichen Teilhabe befähigt, auch jenseits konkreter beruflicher Aufstiegsperspektiven.
Erfolgsprämien
Erwachsene, die einen Schulabschluss nachholen oder an abschlussbezogenen Grundbildungsangeboten teilnehmen, sollen bei erfolgreichem Abschluss ebenso eine Prämie erhalten wie der bisher bereits in der Arbeitsförderung (§ 131a AWStG) begünstigte Personenkreis.
Steuerliche Absetzbarkeit
Weiterbildungsangebote, die im öffentlichen Interesse liegen, sollen steuerlich absetzbar sein und die Breite der geförderten Angebote muss erhöht werden. Dazu gehören neben beruflich verwertbaren Weiterbildungsmaßnahmen u. a. auch Angebote politischer Bildung, kompensatorischer Weiterbildung, abschlussbezogener Grundbildung sowie Angebote zum Erwerb von Schlüsselqualifikationen.
Zielgruppenansprache
Zur Sicherstellung einer verlässlichen Grundversorgung mit Angeboten zur beruflichen, politischen, gesundheitlichen, kulturellen und sprachlichen Teilhabe im ländlichen Raum und zur Steigerung der Weiterbildungsbeteiligung bisher nicht erreichter Zielgruppen sollen Modellprojekte aufgelegt werden.
Kompensatorische Bildung
Es gefährdet nicht nur die individuelle Existenzsicherung, sondern auch den wirtschaftlichen Fortschritt unseres Landes, wenn Menschen aufgrund eines Scheiterns im Schulsystem, Unterbrechungen in der Berufsbiografie oder wegen anderer Gründe vom lebenslangen Lernen ausgeschlossen werden.
Unser Appell:
Funktionaler Analphabetismus
Um die dramatisch hohe Zahl von 7,5 Mio. Erwachsenen in Deutschland, die nicht ausreichend lesen und schreiben können, zu vermindern, bedarf es in der von Bund und Ländern ausgerufenen Nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung neben der Förderung von Entwicklungsprojekten auch einer staatlichen Regelförderung, die allen Betroffenen die Teilnahme an Alphabetisierungs- und Grundbildungsangeboten ermöglicht.
Zweiter Bildungsweg
Alle Erwachsenen müssen die Möglichkeit erhalten, Schulabschlüsse nachzuholen – unabhängig von Alter, Erwerbs- und Aufenthaltsstatus sowie nationaler Herkunft. In Deutschland verlassen jährlich rund 70.000 junge Menschen die Schule ohne einen Abschluss. Von den nach Deutschland zugewanderten Erwachsenen verfügt über ein Drittel nicht über einen Schulabschluss.
Bildungsübergänge und Weiterbildungsberatung
Im Sinne erfolgreicher Lern- und Bildungsbiographien müssen Förderangebote als Bildungsketten miteinander verbunden werden, damit Anschlüsse eröffnet und Übergänge erleichtert werden. Alphabetisierung, Grundbildung, Integration und Zweite Bildungswege stehen vielfach unverbunden nebeneinander. Insbesondere müssen auch Strukturen der Weiterbildungsberatung ausgebaut und abgesichert werden.
Digitale Weiterbildung
Die rasanten Prozesse der Digitalisierung erfordern den Erwerb umfassender Nutzungs- und mündiger Entscheidungskompetenzen. Menschen müssen dabei nicht nur mit digitalen Produkten und Funktionalitäten vertraut werden und ihre Informations- und Lerntechniken kontinuierlich erweitern, sondern auch ihre Analysefähigkeiten schärfen, um Informationen und Sicherheitsrisiken beurteilen zu können.
Unser Appell:
Förderprogramme
Alle Förderprogramme der „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) müssen so ausgestaltet werden, dass auch die Weiterbildung für die Erfordernisse und Möglichkeiten der digitalen Wissensgesellschaft gestärkt wird.
Zugang für alle
Digitale Bildung beschäftigt alle Menschen – lebenslang. Um einer drohenden digitalen Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken, müssen insbesondere auch Ältere, arbeitssuchende Menschen, Berufsrückkehrer /-innen und Arbeitnehmer /-innen mit unregelmäßigen Arbeitszeiten sowie Erwachsene mit Grundbildungsbedarf in der Strategie des BMBF berücksichtigt werden.
Digitale Informationszentren
Auf kommunaler Ebene müssen bürgernahe Anlaufstellen eingerichtet werden, die bei allen Fragen rund um Medien- und Informationskompetenz und hinsichtlich aktueller Netzphänomene wie Fake News, Social Bots und Datamining Hilfestellung bieten. Die Weiterbildungseinrichtungen müssen am Aufbau und Betrieb der Informationszentren beteiligt werden, um eine Vernetzung mit ihren vielfältigen Bildungsangeboten sicherstellen zu können.
Zusammenhalt durch allgemeine Weiterbildung
Unsere Gesellschaft ist von unterschiedlichen Spaltungstendenzen betroffen. Weiterbildung stärkt durch ihre Bürgernähe und ihre Begegnungsangebote den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Ihre Programme müssen den Bildungsbedürfnissen der gesamten Bevölkerung gerecht werden, gleiche Zugänge ermöglichen und gemeinsame Bildungsprozesse initiieren.
Unser Appell:
Gesellschaftlicher Zusammenhalt
Neben der etablierten politischen Jugend- und Erwachsenenbildung bedarf es eines Förderprogramms zur flächendeckenden Umsetzung von neuen, innovativen Dialog- und Beteiligungsformaten auf kommunaler Ebene, um Menschen mit unterschiedlichen Herkünften und Lebenslagen gemeinsam eine kritische und konstruktive Auseinandersetzung mit der Zukunft unserer Gesellschaft zu ermöglichen.
Gesamtgesellschaftliche Integration
Integration bedarf eines ganzheitlichen Bildungsansatzes, der (inter- ) kulturelle, gesellschaftspolitische, berufliche und gesundheitsbezogene Bildung mit Sprachlernangeboten verknüpft. Darüber hinaus kann die Integration hundert tausender neu zugewanderter Menschen nur als ein gesamtgesellschaftlicher Prozess gelingen, in dem die Bildungsbedürfnisse von Zugewanderten und einheimischer Bevölkerung gleichermaßen berücksichtigt werden.
Integrationskurse und Qualifizierung
Die Maßnahmen des Bundes für Integration und Qualifizierung sind besser auszustatten. Sie müssen positive Lernbedingungen garantieren und die Lehrkräfte müssen angemessen vergütet und abgesichert werden. Insbesondere müssen auch die Träger ausreichend finanziert werden für die anspruchsvollen Organisations- und Betreuungsaufgaben. Eine nachhaltige Anhebung der Trägerpauschale ist hier unverzichtbar.
Personalstruktur
Mehr und mehr übernimmt die Weiterbildung Daueraufgaben, die im besonderen öffentlichen Interesse liegen und politisch gewünscht sind. Mit diesen Maßnahmen wächst die Zahl der Lehrkräfte, die im Haupterwerb in der Weiterbildung tätig, aber nicht (ausreichend) sozial abgesichert sind.
Unser Appell:
Soziale Absicherung von Kursleitenden
Die von Bund, Ländern und Kommunen aufgelegten und verantworteten Weiterbildungsprogramme müssen finanziell so dimensioniert sein, dass Lehrkräfte leistungsgerecht bezahlt und bei Bedarf sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden können. Zur sozialen Absicherung von Kursleitenden müssen gegebenenfalls Zuschläge zur anteiligen Deckung der Sozialversicherungskosten finanzierbar sein.
Weiterbildungssozialkasse
Die Einrichtung einer Weiterbildungssozialkasse oder alternativ die Aufnahme von Lehrkräften in die Künstlersozialkasse ist zu prüfen, um eine trägerübergreifende soziale Absicherung für freiberufliche Lehrkräfte sicherzustellen.