Von Beate Tischer
Demokratie lässt sich am besten erfahren, wenn man sich aktiv in seinem Umfeld an Gestaltungsprozessen beteiligt. Bürgerbeteiligung gibt es im Großen wie auch im Kleinen – sei es, sich politisch in einer Bürgerinitiative oder einer Partei zu engagieren, oder für den Spielplatz, die Straße oder ähnliches im eigenen Umfeld. Die Stadt Leipzig propagiert auf ihrer Hompage: „Jedem Bürger steht es offen, aktiv die Arbeit der Kommune zu beeinflussen und seine Gestaltungsspielräume zu nutzen. Auf verschiedenen Wegen können Sie sich informieren, Meinungen bilden, Standpunkte einbringen und Entscheidungen mitgestalten. Nutzen Sie diese Möglichkeiten und mischen Sie sich ein!“
Ein Forum wächst „von unten“
Das Motto „sich einmischen“ hat in Leipzig eine lange Tradition und wird von der Volkshochschule Leipzig aktiv begleitet. Bürgerschaftliches Engagement entwickelt sich zunächst oft unabhängig von Verwaltung oder Politik – manchmal auch im Widerspruch zu diesen Institutionen. Dies geschieht im Rahmen der gesellschaftlichen Selbstorganisation mit demokratischen Strukturen.
Für die Volkshochschule Leipzig begann die aktive Arbeit in diesem Bereich Anfang der 2000er Jahre. In einem Arbeitskreis mit einer Gruppe von Bürgervereinen und Vertretern der Stadtverwaltung, moderierte und begleitete sie diesen Beteiligungsprozess – im Rahmen der Lokalen Demokratiebilanz. Das Ziel war, bürgerschaftliches Engagement zu fördern und konkretes Einmischen bzw. substanzielle Beteiligung zu ermöglichen. Aus dem Arbeitskreis erwuchs 2007 das Forum Bürgerstadt Leipzig. Die Initiative war nicht etwa ein Bildungsangebot der Volkshochschule, sondern entwickelte sich „von unten“, weil Leipzigerinnen und Leipziger die Notwendigkeit erkannten, gemeinsam die Idee einer bürgerorientierten Kommune zu forcieren. Sie suchten die Zusammenarbeit mit der Volkshochschule, da sie deren Netzwerkarbeit kannten. Seit dieser Zeit treffen sich etwa sechsmal im Jahr Interessierte in der Volkshochschule Leipzig. Das Forum arbeitet nach dem Trialogprinzip.
Es setzt sich zusammen aus ehrenamtlich Engagierten aus dem gesamten Spektrum der Stadtgesellschaft (Vereine, Gruppen, Initiativen, engagierte Bürger, Vertretern der Politik, Mitarbeitenden der Verwaltung.
Das Forum diskutiert Projekte zur Förderung von Bürgerbeteiligung, vermittelt „Neueinsteigenden“ den Zugang zu laufenden Projekten und unterstützt Projektideen. Wichtig ist der Erfahrungsaustausch und die Vernetzung mit Partnern. Es kann auch Initiator neuer Projekte sein. Dabei ist durchaus ein Mentalitätswandel der Beteiligten zu beobachten, der trotz häufig kontroverser Standpunkte zum großen Teil auf Vertrauen und Verlässlichkeit in der Sache basiert. Das Forum Bürgerstadt besteht aus den Teilbereichen öffentliches Forum, Koordinierungskreis (der die öffentlichen Veranstaltungen vorbereitet) und verschiedenen Projektgruppen. Alle Bereiche arbeiten selbstbestimmt und autark.
Die Volkshochschule ermöglicht Beteiligung
Die VHS Leipzig versteht sich nicht als bloße Wissensvermittlerin. Sie will Menschen befähigen, ihr eigenes Urteil zu fällen und selbstständig zu handeln. Dies betrifft das persönliche Umfeld ebenso wie das öffentliche und soziale Leben. Dafür wurden offene Lernformen entwickelt, die stärker auf die Lebenszusammenhänge ausgerichtet sind (unter anderem „Stammtische“, Erzählcafé, Forum Bürgerstadt). Die Volkshochschule will Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, eigene Interessen und Bedürfnisse zu artikulieren, Ziele zu definieren und eigenständige Strategien zur Realisierung der Ziele zu entwickeln. Die Volkshochschule stellt dafür „Möglichkeitsräume“ zur Verfügung und fungiert als Ansprechpartnerin für „Suchende“. Sie setzt einen Rahmen, in dem Lernende selbst über ihre Lernwege entscheiden und ihren Lernprozess steuern. Damit werden Menschen zur Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen befähigt. Dies ist ein Paradigmenwechsel in der Weiterbildung.
Als kommunale Bildungseinrichtung unterstützt die VHS Leipzig die Beteiligungsprozesse ohne konkurrierende Interessen. Sie stellt nicht nur Räume zur Verfügung, sondern sorgt auch für Moderation, Prozessbegleitung und Mediation, damit bürgerschaftliches Engagement ermöglicht und gefördert wird.
Beteiligung ändert Machtverhältnisse – ein Beispiel
Natürlich geht es auch in Leipzig nicht ohne Konflikte – erwähnt sei hier die Auseinandersetzung um das Naturkundemuseum, das über viele Jahre im Dornröschenschlaf lag: Nach 1989 wurden vonseiten der Stadt kaum Investitionen getätigt. Schließlich sollte es schrittweise geschlossen werden. Beteiligte des Forums Bürgerstadt wollten dies nicht hinnehmen.und gründeten 2010 den „Arbeitskreis Naturkundemuseum“. Dessen Aktivitäten wurden regelmäßig im Forum Bürgerstadt vorgestellt. Der Arbeitskreis koordinierte und bereitete fünf große Debatten vor, zu denen u.a. der Oberbürgermeister und zahlreiche auswärtige Fachexperten eingeladen wurden. Zudem wurde eine interaktive Webseite für das Museum erstellt. So gelang es dieser Gruppe, die Bedeutung des Museums in breite Bevölkerungsschichten zu tragen und motivierte politische Verantwortungsträger dazu zu bewegen, sich der Sache anzunehmen. Dies mündete schließlich in einen Masterplan für das Museum. Seit Dezember 2016 gibt es einen neuen Direktor, der für die Neukonzeption des Leipziger Naturkundemuseums verantwortlich ist. Das Ringen um diese Lösung dauerte immerhin sechs Jahre! Der Arbeitskreis Naturkundemuseum traf sich insgesamt 51 Mal in der Volkshochschule.
Dieses Beispiel macht exemplarisch deutlich, dass sich im Rahmen von Prozessen der Bürgerbeteiligung Entscheidungsbefugnisse und somit auch Machtverhältnisse ändern können. Dies kann starken Druck auf Beteiligte ausüben und auch Ängste schüren; die Rollen der Akteure müssen neu definiert werden. Um langwierige und aufwendige Beteiligungsprozesse erfolgreich zu bewältigen, ist eine qualifizierte Begleitung durch Moderation und Mediation erforderlich. Hier liegen neue Schwerpunktaufgaben der modernen politischen Bildung.
Die Leipziger Volkshochschule und die mit ihr verbundenen Akteure konnten relativ selbstbewusst agieren, da sie im Jahr 2011 den mit 10.000 Euro dotierten Innovationspreis Weiterbildung des Freistaates Sachsen für ihre Arbeit im Forum Bürgerstadt erhielten, und damit das Projekt zusätzlich landesweit Aufmerksamkeit errang.
Die Arbeit im Forum der Volkshochschule Leipzig geht weiter. Innerhalb des Forums gründete sich im Herbst 2016 das „Netzwerk Flüchtlingsinitiativen“. Es bleibt spannend, neue Herausforderungen stehen an, und neue Partner und Akteure mischen mit.
Beate Tischer ist Pädagogische Mitarbeiterin für Politik und Gesellschaft an der VHS Leipzig.
Umgesetzte Projekte
- Seniorensicherheitsberatung
- Leipziger Notenspur-Initiative
- Marketing für ehrenamtliches Engagement
- Leitlinien zur Bürgerbeteiligung
- Bund Leipziger Bürger- und Heimatvereine
- Internetauftritt der Vereine unter leipzig.de