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Deutscher Volkshochschul-Verband

Warum Vernetzung in der Erwachsenenbildung unverzichtbar ist

Prof. Dr. Ulrich Klemm in einem Gastbeitrag zum Jahresschwerpunkt "Vernetzt" über die Bedeutung der kommunalen Netzwerkarbeit an Volkshochschulen

Kommunalität als strategische Ausrichtung der vhs

Die Volkshochschulen sind seit über 100 Jahren als kommunale Nahversorger mit einem flächendeckenden und umfassenden basalen Bildungsangebot für alle Bevölkerungsgruppen ausgerichtet und gehören zum festen Bestandteil der lokalen Infrastruktur für Lebenslanges Lernen in Deutschland. Die kommunale Orientierung und Vernetzung ist eine wesentliche Gelingensbedingung für die Erwachsenenbildung der Volkshochschulen. Die lokale Verankerung ist gleichsam der rote Faden ihrer Bildungsarbeit. Der ehemalige Verbandsdirektor des DVV, Volker Otto, spricht von der „Kommunalität der Erwachsenenbildung“, die „mehr (ist) als eine Rechtsbeziehung oder als ein Organisationsbegriff, der die organisatorische Einbindung der Erwachsenenbildungseinrichtung in die Kommune beschreibt. Im Zusammenhang mit Erwachsenenbildung meint Kommunalität einen Beziehungsrahmen, in dem Bildung und Lernen Erwachsener als etwas Gemeinschaftliches verstanden und die Fähigkeit des Weiterlernens als Prozess begriffen wird“ (Otto 1994, 6-7).

In diesem Sinne wurde mit der vhs nicht nur ein Bildungsort, sondern auch ein Bildungsprinzip geschaffen, das mit der Kommunalität als strategische Ausrichtung eine enge Beziehung zum Gemeinwesen hat und damit auch direkt oder indirekt Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltung ist.                                     

Wesentlich dabei wird ihr intermediärer Charakter, d.h. die Rolle als Mittler zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten: Volkshochschulen reagieren auf unterschiedliche Bildungsbedarfe und -Bedürfnisse, führen sie zusammen bzw. stellen Schnittstellen her zwischen Staat, Politik und Kommunen einerseits sowie der Zivilgesellschaft und den Haushalten andererseits und schließen auch Wirtschaft und Unternehmen mit in ihr Bildungsnetzwerk ein.

Abbildung 1: Die intermediäre Funktion der vhs

Diese bildungspolitische Schnittstellenfunktion zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen „Systemen“, die alle verschiedene Handlungslogiken aufweisen, erfordert in besonderer Weise eine Netzwerkkompetenz im kommunalen Raum. Intermediäre Institutionen wie die vhs werden so gesehen zu Ermöglichungsräumen für kollektives Lernen, Demokratieentwicklung sowie Stadt- bzw. Dorfentwicklung. Erwachsenenbildung wird in diesem Sinne zu einem „Netzwerk des Lernens“ (Brödel 2004) und Lebenslanges Lernen zu einem kommunalen Standort- und Entwicklungsfaktor. Regine Mickler spricht von drei Planungsperspektiven bei vhs-Kooperationen und -Netzwerken: eine bildungspolitische, eine regional- und städteplanerische sowie eine organisationale hinsichtlich der eigenen Einrichtung (Mickler 2013).

Die gesellschaftliche Bedeutung von Netzwerken

Als Bestandteil des Bildungsmanagements ist das „Netz“ zu einer wichtigen Metapher der vhs-Arbeit geworden. Der Bildungsforscher Horst Siebert weist darauf wie folgt hin: „Das Netz ist ein flexibles, bewegliches, aber auch empfindliches System. Wird ein Knoten aufgeknüpft, lockert sich bald das ganze Netz. Netze sind nicht starr, sondern stellen ein Gleichgewicht her. Das Netz reagiert sensibel auf Belastungen und Störungen. Netze geben Halt und Sicherheit“ (Siebert 2003, 31). Netzwerke sind in diesem Kontext nicht-hierarchische, meist freiwillige und oftmals zeitlich begrenzte (selbst)organisierte Kooperationen von unterschiedlichen staatlichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Institutionen auf lokaler Ebene.

Ein signifikantes Merkmal der vhs ist, dass sie auf gesellschaftliche Veränderungen und Transformationsprozess mit neuen Netzwerken reagiert. Drei Bedeutungsebenen stehen dabei für die vhs im Mittelpunkt: Der Vernetzungsgedanke erhält (1.) als eine Strategie gegen zunehmende Komplexität unseres Alltags eine makrodidaktische Bedeutung: Komplexität in der Bildungsarbeit bedeutet dabei,

  • dass Entscheidungen von einer Vielzahl von Einflussfaktoren abhängen, die die vhs nur bedingt direkt beeinflussen kann (z.B. finanzielle Förderung, digitale Infrastruktur), 
  • dass Bildungsbedarfe einem ständigen Wandel und Konjunkturen unterzogen sind, die eine oftmals nur schwer regulierbare Eigendynamik entwickeöln, wenn z.B. kommunalpolitische Entscheidungen in einen überregionalen Kontext eingebunden sind (z.B. Corona-Pandemie oder Migration),
  • dass zukünftige Entwicklungen immer schwerer vorhersehbar sind und mittel- sowie langfristige (Finanz-) Planungen verhindern bzw. die Einbeziehung von Restrisiken bei der Programmplanung zum Alltag werden (z.B. fehlende Kursleiter*innen).                
Abbildung 2: Funktional vernetzte Komplexität in der Informationsgesellschaft

Neben dieser strategischen Bedeutungsebene von Vernetzungen steht der politische Kontext. Vernetzung ist (2.) ein Demokratieprinzip gegen die Hierarchisierung und Segmentierung von Gesellschaft und gleichzeitig eine Strategie für gesellschaftliche Integration, Inklusion und Emanzipation. Die Idee der demokratischen Zivilgesellschaft ist die Idee einer vernetzten Gesellschaft. „Vernetzt Euch“ war die Botschaft der Oppositionsbewegung des „Arabischen Frühlings“ 2010 in Nordafrika (Mhenni 2011). Soziale Netzwerke sind der Humus und der Kit alltäglicher sozialer Beziehungen. Als Grundlage einer demokratischen Gesellschaft bedürfen diese der „Pflege“ und werden zu einem Bildungsthema. Die Unübersichtlichkeit der globalen Verhältnisse sowie die Hilflosigkeit und Schwerfälligkeit klassischer(internationaler) Politikstile macht eine zivilgesellschaftliche Netzwerkstrategie zum Hoffnungsträger für eine nachhaltige Lebensqualität (z.B. bei Naturkatastrophen in Ländern des Südens).                                       

Schließlich hat (3.) die Digitalisierung in den letzten Jahren eine vollkommen neue Form der Vernetzung hervorgebracht und zu einer Beschleunigung und Entgrenzung dieser geführt.  Vor allem in den Lockdown-Phasen der Corona-Pandemie hat die digitale Vernetzung massiv die analoge ersetzt und neue (digitale) Standards gesetzt. Eine pädagogische Gretchenfrage ist dabei, wie digital Bildung und Lernen sein sollen und können? Das Verhältnis von analoger und digitaler Bildungswelt ist für Volkshochschulen zu einer elementaren und zukunftsrelevanten Frage geworden. Perspektivisch ist im Sinne der kulturellen Evolution zu fragen, ob zukünftig ein „Homo Digitalis“ den „Homo Oeconomicus“ (Adam Smith) und „Homo Sociologicus“ (Ralph Dahrendorf) ablösen wird. Es ist zu fragen, ob zukünftig ein mit digitalen Maschinen (KI) vernetzter Mensch zur Alternative zu einem zweckrational und nutzenorientiert (Adam Smith) handelnden sowie in verschiedenen sozialen Rollen wertorientiert (Ralph Dahrendorf) denkenden Menschen wird. 

Vor dem Hintergrund dieser drei Bedeutungsebenen soll deutlich werden, dass vernetztes Denken und Handeln nicht nur individuelle Schlüsselkompetenzen für die Zukunft sind, sondern auch eine strategische Kompetenz für die Weiterentwicklung von Bildungsinstitutionen wie der vhs. 

Nutzen von Kooperationen und Netzwerken für Bildungsinstitutionen

Auf vier Arbeits- und Handlungsebenen können Netzwerke für Bildungsinstitutionen Vorteile bringen:

Eine Ressourcenverteilung führt zu Entlastungen und Aufteilung von Arbeitspaketen und es kommt zu einer Konzentration auf eigenen Stärken bzw. können Schwachstellen von Partner übernommen werden. Durch Synergieeffekte entstehen neue Impulse für das eigene Arbeiten bzw. können Zielrichtungen neu geordnet und erweitert werden. Von Aristoteles ist die Erkenntnis überliefert, dass das „Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile“ und dass Synergieeffekte eine Sache „rund machen“ und ihr eine Identität geben können. Der Wissenstransfers von Dritter Seite bedeutet ein Lernen von anderen und kann in einer „Lernenden Organisation“ als eine intellektuelle und operative Kompetenzerweiterung nachhaltig genutzt werden.  Schließlich erweitern sich auch Einflussmöglichkeiten durch ein gemeinsames Agieren in den oftmals unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Netzwerkpartner, z.B. durch eine größere Außenwirkung bei neuen Zielgruppen und durch die Erreichbarkeit neuer Milieus durch neue und bislang nicht gebräuchliche Bildungsformate. Die Reichweite pädagogischer Maßnahmen wird vergrößert.

Damit diese Effekte eintreten und die oftmals unterschiedlichen Handlungslogiken der Partner (Verwaltung, Kommunalpolitik, Bildungseinrichtungen, zivilgesellschaftliche Organisationen) eine Kooperation nicht behindern, müssen gemeinsame Arbeitsprinzipien „auf Augenhöhe“ aufgestellt werden, die im Kontext von Selbstorganisation, Selbstverpflichtung, Vertrauen, Verlässlichkeit und Haltung/Einstellung angesiedelt sind und als „Gebrauchsanweisung“ dienen. Kommt es zu keinen gemeinsamen „Spielregeln“, dann steigt das Risiko eines Scheiterns. 

Schließlich müssen auch die unterschiedlichen Grade der Kooperation beachtet werden. Der Netzwerkforscher und Erwachsenenpädagoge Wolfgang Jütte nennt drei (Jütte 2002, 65): (1.) Die institutionelle Kooperation, die grundsätzliche, strategische und längerfristige Aspekte umfasst und auf Leitungsebene definiert wird (z.B. BAMF-Integrationskurse), (2.) die aufgabenbezogene Kooperation als punktuelle und ereignisbezogene Projektarbeit auf der Fachbereichsebene (z.B. TalentCAMPus) und (3.) die personelle Kooperation, die auf Mitarbeiter*innen-Ebene personenbezogene Absprachen umfasst, oftmals auch informellen Charakter hat und ein soziales und persönliches Netzwerk voraussetzt ( z.B. bei der Suche nach Veranstaltungsräumen).

Zukünftige Herausforderungen

Volkshochschulen müssen, wenn sie Lebenslanges Lernen als kommunale Daseinsbewältigung angesichts aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen und Transformationsprozessen sehen, neue Wege gehen. Allein das Vorhandene zu optimieren, reicht nicht mehr aus. „Wir müssen aus dem Alten lernen, Neues zu machen“, sagte einst Bert Brecht. Kooperationen und Vernetzungen sind dabei für die Bildungsarbeit ein zentrales soziales Kapital und werden zu einem Hebel der Zukunftsgestaltung. 

Eckpunkte einer solchen netzwerkorientierten Ausrichtung der vhs gehen über ihre Funktion als Anbieter von Bildungsangeboten hinaus: Die vhs wird – und dies ist in vielen Fällen auch bereits sichtbar - zum Dienstleister, zum Moderator, zum Initiator und zum Unterstützer für die Zivilgesellschaft und die Verwaltung vor Ort.             

Die vhs wird als kommunale Bildungseinrichtung zu einem Entwicklungsfaktor für das Gemeinwesen mit folgenden Funktionen:

Abbildung 3: Funktionen der vhs als kommunaler Bildungsträger für Lebenslanges Lernen

Zum Autor

Prof. Dr. Ulrich Klemm, derzeit Vertretung der Professur für Erwachsenenbildung und Weiterbildung an der Technischen Universität Chemnitz; 2013-2021 Geschäftsführer des Sächsischen Volkshochschulverbandes, davor zwanzig Jahre Fachbereichsleiter an einer Volkshochschule.

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