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Deutscher Volkshochschul-Verband

Trends und Exemplarisches erkennen, Zufälliges und Flüchtiges verdrängen

Ein Interview über Ziele und erste Ergebnisse der revidierten vhs-Statistik

Damit die bundesweit erhobene vhs-Statistik auch zukünftig einen zeitgemäßen Blick auf Angebote, Leistungen und Struktur der Volkshochschulen ermöglicht, überarbeiteten das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung (DIE), der Deutsche Volkshochschul-Verband (DVV) und die vhs-Landesverbände in den vergangenen Jahren in einer „großen Revision“ umfassend die statistischen Erhebungsbögen. Mit der 57. Folge der vhs-Statistik liegen für das Berichtsjahr 2018 nun erstmalig Daten auf Grundlage der revidierten Erhebung vor. Im schriftlichen Interview mit dis.kurs ordnen Dr. Elisabeth Reichart und Rainer Krems die Ergebnisse ein.   

Dr. Elisabeth Reichart ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung „System und Politik“ des DIE. Sie koordinierte das Revisionsprojekt 2014–2018 im DIE für den Bereich der Volkshochschul-Statistik.

Im Interview

Rainer Krems war Mitarbeiter der Berliner Senatsverwaltung und Mitglied des OFA/DVV. Er unterstützt die vhs durch seine Mitarbeit in der DVV-Arbeitsgruppe Statistik-Revision

Im Interview

Was ist das besondere an der vhs-Statistik?

Reichart: Die vhs-Statistik ist eine Vollerhebung. Schon seit langer Zeit beteiligen sich daran fast alle Mitglieder der vhs-Landesverbände – im letzten Berichtsjahr vor der Revision waren es 99 Prozent. Da die Statistik bereits seit 1962 besteht, können die Entwicklungen der Volkshochschullandschaft und ihrer Angebote über mehr als 50 Jahre nachvollzogen werden, zumindest anhand grober Kennzahlen zu Finanzierung, Personal und Kursveranstaltungen. Eine weitere Besonderheit, die die vhs-Statistik insbesondere für die Forschung so interessant macht, ist ihre Regionalisierbarkeit.

Krems: Die freiwillige Beteiligung fast aller Volkshochschulen an der vhs-Statistik hat den großen Vorteil, dass die Volkshochschulen und ihre Verbände frei darüber entscheiden können, welche Daten erhoben werden sollen: Ob zur Dokumentation der eigenen Arbeit, als Grundlage der weiteren Entwicklung oder zur Vertretung der vhs-Interessen gegenüber Politik und Öffentlichkeit. Andererseits folgt daraus die Notwendigkeit, abzuwägen – erfragt man zu viel, könnte das die hohe Beteiligung und die Vollständigkeit der Datenzulieferung gefährden.

Welche Ziele verfolgen Sie mit der Revision der vhs-Statistik?

Reichart: Die bisherige Statistik, deren Systematik seit 1998 existiert, hat nicht mehr alle Tätigkeitsbereiche und strukturellen Bedingungen abgedeckt, in bzw. unter denen die Volkshochschulen tätig sind. In Bezug auf die Organisation sind hier zu nennen: die Einwerbung von Drittmitteln (auch von öffentlichen Geldgebern), die Durchführung von Qualitätsmanagement und die Fortbildung der Lehrenden. Neue pädagogische Anforderungen entstehen etwa durch die Ausweitung der Zielgruppen und Bildungsbereiche, durch die Förderung des Erwerbs von Abschlüssen und Zertifikaten, die Unterstützung digitalen Lernens und die Beratung und Kompetenzerfassung. Die Revision hatte zum Ziel, diese Bereiche adäquat abzubilden und gleichzeitig die bisherigen Kategorien zu überarbeiten und zu modernisieren. 

Krems: Die Statistikrevision war ein schwieriges Unterfangen, weil neu hinzugekommene vhs-Aufgaben abgebildet werden sollten, ohne dass andere weggefallen wären, und weil sich dieses erweiterte Aufgabenprofil auf Strukturen, Personal und Finanzen auswirkt, was ebenfalls belegt werden sollte. Zugleich musste berücksichtigt werden, wie eine weitgehend automatisierte Datenerfassung bei den Volkshochschulen und eine Verarbeitung der Daten beim DIE realisierbar sind. 

Was hat sich im Wesentlichen verändert?

Reichart: Für die bisher nicht erfassten Leistungen wurden neue statistische Kategorien geschaffen; die meisten davon erscheinen nun unter der Überschrift „Weitere Leistungen“ in der Statistik. Auch die thematischen Kategorien – die Programmbereiche und Fachgebiete – wurden „entrümpelt“, das heißt teilweise zusammengefasst und mit moderneren Bezeichnungen versehen. Zusätzlich wurden für die Kurse und teilweise auch für die Einzelveranstaltungen neue Zusatzmerkmale eingeführt, die unabhängig von der thematischen Zuordnung vergeben werden können: berufsbezogene Veranstaltungen, abschlussbezogene Veranstaltungen und Veranstaltungen mit digitalen Lernangeboten.  

Krems: Diese Änderungen sind nicht „aufwandsneutral“: die Volkshochschulen werden nach zusätzlichen Daten über Einrichtung, Personal und Finanzen gefragt; sie sollen weitere Leistungen (Beratung, Betreuung etc.) nach Umfang und Teilnehmerzahl abbilden; sie sind aufgefordert, das gesamte Bildungsangebot (soweit zutreffend) mit den neuen Zusatzmerkmalen zu kennzeichnen, wodurch andere Gruppierungen als nach Programmbereichen möglich sind.

Der zuletzt genannte Punkt macht den Kern der Revision aus, während die anderen Punkte eher als Erweiterungen anzusehen sind. Das vhs-Angebot anhand der Zusatzmerkmale gruppieren und quantifizieren zu können, verbessert die bildungspolitische Argumentationsbasis:  künftig lässt sich genauer und für mehr Aufgabenfelder belegen, in welchem Maße die Bildungsarbeit der Volkshochschulen dazu beiträgt, die gesellschaftliche Entwicklung voranzubringen. 

Wie sind die Ergebnisse des ersten Berichtsjahres der revidierten Statistik einzuschätzen?

Reichart: Positiv ist zu bewerten, dass trotz der großen Umstellung fast alle Volkshochschulen die Statistik ausgefüllt haben, sodass die Erfassungsquote insgesamt bei 98 Prozent lag. Die Größenordnungen der Kernmerkmale (Gesamtfinanzierung, Personal, Kurse) liegen in dem Rahmen, den wir aufgrund der Ergebnisse der Vorjahre und der vorgenommenen Veränderungen erwarten konnten. Gut ist auch, dass sich Veränderungen, die bisher nur grob wahrnehmbar waren, wie zum Beispiel bei der Personal- und der Finanzierungsstruktur, nun durch die Ausdifferenzierung der Erhebungskategorien in Daten belegen lassen.

Krems: Ein Beispiel für ein im Umfang jetzt besser erkennbares Aufgabenfeld ist die Alphabetisierungsarbeit der Volkshochschulen. Bisher waren Teile dieses Lernangebots in der Statistik zwar enthalten, aber nicht als solche zahlenmäßig erfasst. Das betraf zum einen Auftrags- und Vertragsmaßnahmen, die generell nicht nach Fachgebieten differenziert wurden, zum anderen Alphabetisierungskurse im Rahmen des Spracherwerbs Deutsch, die dort ebenfalls nicht getrennt erfasst wurden. Für 2018 lässt sich jetzt belegen, dass das Unterrichtsvolumen der Alphabetisierungsarbeit um das Zweifache höher liegt als für 2017 ausgewiesen.

Reichart: Trotz dieser ersten positiven Ergebnisse muss auch festgehalten werden, dass bei den neuen Zusatzmerkmalen der Kurse und bei den Weiteren Leistungen die gemeldeten Summen noch nicht den Größenordnungen entsprechen, die aufgrund der Feldbeobachtung zu erwarten sind.

Krems: Die Erwartung, bei den zusätzlichen Kursmerkmalen aussagekräftige Daten zu gewinnen, mit denen im politischen Raum argumentiert werden könnte, hat sich im ersten Jahr der revidierten Erhebung leider noch nicht erfüllt. Die Zahlen auf Bundesebene lassen eindeutig erkennen, dass von vielen Volkshochschulen entweder nur für wenige Kurse oder überhaupt keine Zusatzmerkmale vergeben worden sind. Ein Beispiel hierfür ist der Programmbereich Sprachen. Im gesamten Programmbereich wurden weniger Kurse mit „auf einen Abschluss bezogen“ gekennzeichnet, als Integrationskurse durchgeführt wurden, obwohl diese ja stets auf Abschlüsse ausgerichtet sind. Aufgrund solcher Beobachtungen muss angenommen werden, dass die auf Länderund Bundesebene aggregierten Zahlen zu den Zusatzmerkmalen nicht valide sind. Die Zahlen für einzelne Volkshochschulen können natürlich durchaus zutreffen.

Bei den Weiteren Leistungen sind die Meldungen ebenfalls noch unvollständig. So hat weniger als die Hälfte aller Volkshochschulen Zahlen zu Beratungen angegeben; schon wegen der Beratung zur Kurseinstufung (einer Standardleistung der Volkshochschulen) kann das aber nicht stimmen.

Worauf würden Sie diese fehlenden Meldungen zurückführen?

Krems: Warum in erheblichem Umfang Meldungen fehlen, ist nicht ganz klar. Eine Ursache ist sicherlich, dass zumindest Teile des 2018er Angebots in den Verwaltungsprogrammen der Volkshochschulen schon angelegt werden mussten, bevor die an die neuen Anforderungen angepassten Software-Versionen verfügbar waren. Zudem hat die Unterstützung in der Umstiegsphase nicht so lückenlos funktioniert wie geplant: das zum Verständnis der neuen Anforderungen wichtigste Hilfsmittel, die vollständig überarbeiteten Erläuterungen zur Statistik, war zwar ab Februar 2019 beim DIE abrufbar. Darauf hätte jedoch – wie sich jetzt zeigt – über die Verbände noch einmal ausdrücklich hingewiesen werden müssen. Offenbar mussten sich vielerorts vhs-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter mit den neuen Anforderungen abmühen, ohne die Unterstützungsmöglichkeiten nutzen zu können. Die Statistik-AG bedauert dies sehr.

Zurück zu den Zahlen: gibt es Ergebnisse, die Sie überrascht haben?

Reichart: Überrascht direkt nicht. Bei den neuen Erhebungsmerkmalen ist die Datengrundlage nicht aussagekräftig genug, um gesicherte Aussagen zu treffen. Aber allein durch die neuen Möglichkeiten der Zusammenfassung von Daten, können Größenordnungen anders als bisher sichtbar gemacht werden, und das kann auch schon einen Überraschungseffekt erzeugen. Beispielsweise ist jetzt viel deutlicher zu sehen, wie groß inzwischen der Anteil öffentlicher Mittel ist, die nicht als Zuschüsse gezahlt werden, sondern eingeworben werden müssen – und zwar nicht nur vom Bund und der EU, wo das die Regel ist, sondern auch von den Ländern. Rainer Krems hat bereits auf die bessere Sichtbarkeit der Alphabetisierungsarbeit der Volkshochschulen hingewiesen.

Was ist aus Ihrer Sicht bezüglich der Daten aus den Volkshochschulen noch verbesserungsfähig?

Reichart: Der wichtigste Punkt: Damit die Daten für die Zwecke aller Nutzergruppen (Verbandsebene, Bildungspolitik und Forschung) aussagekräftig sind, müssen sie vollständig sein. Das bedeutet zunächst, dass die Statistik 2019 möglichst von allen vhs ausgefüllt werden sollte (2018 waren es 883 von 895 vhs). Zudem müssen die neuen Differenzierungen in den Daten beachtet werden.

Krems: Für die anstehenden 2019er Statistikmeldungen könnte in manchen Volkshochschulen die Lage der des Vorjahrs gleichen: wenn in der Verwaltungssoftware Lehrveranstaltungen angelegt wurden, ohne sie mit den Zusatzmerkmalen zu kennzeichnen, ist für die korrekte Statistikmeldung eine Nachbearbeitung erforderlich – am besten durch die Programmverantwortlichen, die mit dem Inhalt der Kurse vertraut sind.

Die Statistik-AG bittet die Volkshochschulen dringend, diese Zusatzarbeit auf sich zu nehmen. Andernfalls würde es möglicherweise noch bis 2022 dauern, ehe valide Daten zu den Zusatzmerkmalen und den weiteren Leistungen vorliegen. Es kann aber jederzeit eine Situation eintreten – wie 2019 mit der Umsatzsteuerkampagne –, in der dringend belastbare Zahlen benötigt werden, um die Interessen der Volkshochschulen zu wahren.

Die Fragen stellte Sascha Rex, Grundsatzreferent für Gesellschaftspolitik und Projektleiter beim DVV.


Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise

  • Bernhard Ludewig 2012
  • Deutscher Volkshochschul-Verband e.V.