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Deutscher Volkshochschul-Verband

Die ganzheitliche Verantwortung aller für eine gute Bildungspolitik für alle

Der Koalitionsvertrag aus Sicht der Volkshochschulen

Von Dr. Ernst Dieter Rossmann

Damit können die Volkshochschulen in Deutschland wirklich zufrieden sein. Der kürzlich vorgelegte Entwurf zum Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP unter dem Leitmotto „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ nimmt die Anliegen der Volkshochschulen und der allgemeinen Weiterbildung in einer Weise auf, die es bisher in Koalitionsverträgen auf Bundesebene noch nicht gegeben hat. 

Ein neuer Stellenwert für die Erwachsenenbildung 

Dabei soll nicht vergessen werden, dass auch der Vertrag der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD aus dem Jahr 2018 ein deutlicher Schritt nach vorn gewesen ist, enthielt dieser doch auch zwei fast inhaltsund textgleiche Passagen in den Abschnitten „Berufliche Bildung und Weiterbildung“ sowie „Digitalisierung“, in denen Volkshochschulen explizit angesprochen wurden. Mit dem Fokus Digitalkompetenzen hieß es da: 

„Wir wollen die Entwicklung von attraktiven, niedrigschwelligen Lernangeboten fördern, vor allem im Bereich der Volkshochschulen, und die Qualitätssicherung in der digitalen Weiterbildung durch Bildungsforschung unterstützen.“ Weiter wurde auch 2018 verabredet: „Wir [wollen] die nationale Dekade für Alphabetisierung ausbauen und insbesondere die arbeitsplatz- und familienorientierte Grundbildung in den Blick nehmen.“

Ein eigener Abschnitt im Bereich der Bildungspolitik des Bundes, der sich nur der Erwachsenenbildung und den in diesem Zusammenhang dringenden Anliegen der Volkshochschulen explizit widmet, war vor vier Jahren dagegen noch nicht möglich. Tatsächlich ist diese nun ausdrückliche Verortung der Erwachsenenbildung aus drei Gründen bemerkenswert und ein politischer Durchbruch: 

  1. Die Parteien in der neuen Regierungskoalition sehen den Bund hier in einer eigenen Förderkompetenz für die Weiterbildung, die über die bisherige Aufteilung hinausweist, in der die Länder und Kommunen für die allgemeine und der Bund für die berufliche Weiterbildung Verantwortung tragen. Das gilt auch für die Nationale Weiterbildungsstrategie.
  2. Unter dem Leitgedanken eines „Kooperationsgebots“ sollen sich Bund, Länder, Kommunen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft über neue Formen der Zusammenarbeit und gemeinsame ambitionierte Bildungsziele verständigen. Die allgemeine Weiterbildung wird hier als wichtiger Teil des Bildungswesens dabei sein.
  3. Indem die Erwachsenenbildung nun ausdrücklich als eigene Phase in der Bildungsbiographie von der frühkindlichen Bildung bis in die Bildung von Senioren mitgedacht wird, setzt sich eine Grundauffassung durch, die die Erwachsenenbildung – auch von Bundesseite aus – eben nicht mehr vorrangig an das Arbeitsleben bindet, sondern an Bildung, an Chancen für alle und an soziale Teilhabe und Partizipation. Und das ein Leben lang. Erwachsenenbildung bekommt in der öffentlichen Verantwortung von Bund, Ländern und Kommunen ihren eigenen Stellenwert und ist ein positives Handlungs- und Gestaltungsfeld. 

Das soll und darf nicht zum Rückzug von Kommunen und Ländern aus der allgemeinen Weiterbildung führen. Die Große Koalition hatte 2018 bekanntlich noch die Einführung eines Nationalen Bildungsrates als Institution beschlossen. Das war eine Idee, die nach wie vor großen Charme hat und trotz aller Querschüsse aus Bundesländern wie Bayern und Baden-Württemberg auch Zukunft haben sollte. 

Mit dem Ziel eines „Kooperationsgebotes“, angelegt auf sehr konkrete Handlungsfelder und mit einer klaren Struktur in der Zusammenarbeit, mag hier jetzt ein neuer erfolgversprechender Ansatz des gemeinsamen Lernens und der „Annäherung durch Kooperation“ gefunden worden sein. Es geht um eine ganzheitliche Verantwortung aller für eine gute Bildungspolitik für alle. Die Hürde einer Grundgesetzänderung steht dabei klugerweise nicht am Anfang eines solchen Prozesses, sondern möglicherweise am Ende, wenn erforderlich. 

Umsatzsteuer und Förderung der digitalen Infrastruktur 

Weil Absichtserklärungen in Koalitionsverträgen natürlich noch nicht die tatsächliche Umsetzung garantieren, gleichwohl aber sehr wichtige Anker für das praktische Handeln einer Regierung sind, sollen die entscheidenden Passagen der drei Koalitionspartner hier in Gänze zitiert werden. Unter der Überschrift Erwachsenenbildung heißt es da auf Seite 97: 

„Mit einem Förderprogramm für Volkshochschulen und andere gemeinnützige Bildungseinrichtungen investieren wir in digitale Infrastruktur. Die Umsatzsteuerbefreiung für gemeinwohlorientierte Bildungsdienstleistungen wollen wir europarechtskonform beibehalten. Wir werden Angebote zur Alphabetisierung ausbauen.“ 

„Die Anerkennung informell, non-formal oder im Ausland erworbener Kompetenzen werden wir vereinfachen und beschleunigen. Mögliche Förderlücken wollen wir schließen. Die Nationale Weiterbildungsstrategie wollen wir mit einem stärkeren Fokus auf die allgemeine Weiterbildung fortsetzen.“

„Wir wollen die politische Bildung und die Demokratiebildung entlang der Bildungskette stärken, die Projektmittel der Bundeszentrale für politische Bildung erhöhen und die Unabhängigkeit ihrer Arbeit achten.“ 

„Den Nationalen Aktionsplan zur Bildung für nachhaltige Entwicklung wollen wir in allen Bildungsphasen und -bereichen bundesweit verankern und deutlich stärken.“ 

Die Positionierung zur Umsatzsteuerbefreiung kann nun als großartiger Erfolg der Volkshochschulen und ihrer Partner und der konzentrierten Aufklärungsarbeit im öffentlichen wie im politischen Raum gewertet werden. Damit haben die Volkshochschulen und die gemeinwohlorientierten Bildungsdienstleister die Regierung offensichtlich als starken Unterstützer in möglichen Auseinandersetzungen mit der EU gewonnen. 

Bei dem Förderprogramm für die digitale Infrastruktur wird daran zu arbeiten sein, die Interdependenz der Dimensionen von „Infrastruktur“ zu verdeutlichen. Diese reicht von der Hard- und Software über die Administration bis hin zum Content und zur Ausbildung und andauernden Weiterqualifizierung des Personals. Was die Kultusminister als Rahmen für ein Zukunftsprogramm für die digitale Weiterbildung vorgelegt haben, kann hierfür eine gute Grundlage werden. Immerhin wird im Bildungskapitel des Koalitionsvertrages im Abschnitt zum Digitalpakt Schule (S. 96) ausdrücklich auch die Weiterbildung angeführt, wenn es heißt:

„Gemeinsam mit den Ländern werden wir die Einrichtung, den Betrieb und die Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten in Schule und Weiterbildung fördern und eine zentrale Anlaufstelle für das Lernen und Lehren in der digitalen Welt schaffen.“ 

Weitere Anknüpfungspunkte für die vhs-Arbeit 

Auch wenn diese Passagen zur Erwachsenenbildung gewiss besonders bemerkenswert sind, weil die allgemeine Weiterbildung in dieser Form von Bundesseite erstmals in den Fokus genommen wird und ihre zielgenaue Förderung und Unterstützung vom Bund bisher noch nicht so explizit als Aufgabe anerkannt wurde, sollen auch andere relevante Aussagen und Anknüpfungspunkte für die Volkshochschulen im Koalitionsvertrag nicht unerwähnt bleiben. 

Erwachsenenbildung hat ihren ganz eigenen Auftrag, ihre eigene Qualität, ihre eigenen Institutionen und auch ihre eigene Didaktik und Methodik und Lernwelt. Gleichzeitig sind die Erwachsenenbildung im Grundsätzlichen wie auch die Volkshochschulen im Speziellen von ihrem Selbstverständnis wie ihrer Theorie und Praxis mit anderen gesellschaftlichen Bedarfen eng verknüpft und engagieren sich erfolgreich in diesen Handlungsfeldern. 

Wenn dafür jetzt die Bedingungen verbessert werden sollen, erfreut es die Volkshochschulen von den gemeinsamen Zielsetzungen her. Es stärkt deren Kapazitäten, sich hier als Dienstleister angesichts wachsender gesellschaftlicher Anforderung erfolgreich einbringen zu können. Die zentralen Abschnitte im Koalitionsvertrag dazu lauten: 

„Mit Blick auf die moderne Arbeitswelt sollen Weiterbildungsverbünde ausgebaut werden und der Aufbau von Weiterbildungsagenturen unterstützt werden. Die eigenständige Förderung von Grundkompetenzen soll ausgeweitet werden.“ (S. 67) 

Im Bereich der Integrationsförderung wird ausdrücklich erklärt: 

„Für eine möglichst rasche Integration wollen wir für alle Menschen, die nach Deutschland kommen, von Anfang an Integrationskurse anbieten. Die Kurse müssen passgenau und erreichbar sein. Die Bedingungen für Kursträger, Lehrende und Teilnehmende wollen wir verbessern.“ (S. 139) 

Zu den Seniorinnen und Senioren schließlich findet sich diese Passage: 

„Erfahrungen und Kompetenzen älterer Menschen sind für unsere Gesellschaft unverzichtbar. Wir wollen, dass Menschen im Alter selbstbestimmt in ihrem frei gewählten Umfeld leben können. Wir werden seniorengerechte Ansätze auf allen staatlichen Ebenen und im digitalen Raum fördern […] u.a. (durch) Partizipation, Engagement […] Bildungs- und Begegnungsangebote und die Überwindung von Einsamkeit.“ (S. 102) 

Nicht zuletzt finden sich auch für die Entwicklungszusammenarbeit Aussagen, die eine große Relevanz für unsere Organisation, DVV International, hat – in Verbindung mit dem allgemeinen Bekenntnis, sich an der Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit ihren Nachhaltigkeitszielen (SDG) und einer werteorientierten Entwicklungspolitik auszurichten. Konkret: 

„Wir stärken unser Engagement insbesondere für Grundbildung, duale Ausbildung sowie Fort- und Weiterbildungsangebote sowie die entwicklungspolitische Bildungsarbeit der Zivilgesellschaft im Inland“. (S. 152)

Damit ist der doppelte Blickwinkel des Engagements nach außen wie nach innen, den der DVV über DVV International mit seinen Partnern in aller Welt und über die Volkshochschulen in Deutschland einnimmt, in besonderer Weise angesprochen. 

Die soziale Dimension von Fortschritt im Auge behalten 

Die 900 Volkshochschulen in Deutschland leben in ihrer Vielfalt, Aktualität und Kompetenz nicht zuletzt von dem Angebot der vielen hunderttausend selbständigen Weiterbildnerinnen und Weiterbildner. Im Koalitionsvertrag heißt es zur Situation der Selbstständigen:

„Für Selbstständige soll es einen erleichterten Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung und einkommensbezogene Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung geben. Für neue Selbständige wird eine Pflicht zur Altersvorsorge mit Wahlfreiheiten eingeführt.“ (S. 69 und S. 75) 

Das schließt die Selbstständigen im Bereich der Erwachsenenbildung mit ein. Deren soziale Absicherung kann uns nicht gleichgültig lassen. Auch hier gilt: Die Volkshochschulen dürfen damit zufrieden sein, dass eine neue Regierung, die „Mehr Fortschritt wagen“ will, auch die soziale Dimension von Fortschritt im Auge behalten will.  

Dr. Ernst Dieter Rossmann ist Ehrenvorsitzender des DVV.

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