„Sprechen wir über Europa“. So lautete das Motto der Dialogreihe der Bundesregierung. Zwischen August und Oktober 2018 beteiligten sich daran ad hoc rund 30 Volkshochschulen aus zehn Bundesländern. Sie unterstrichen, dass die Volkshochschulen wie keine andere Einrichtung in der Lage sind, eine Vielzahl von Menschen zu erreichen und vor Ort in einen konstruktiven gesellschaftlichen Diskurs einzubinden. Gerne hatte der DVV die Einladung der Bundesregierung angenommen, als Partner die Reihe der Bürgerdialoge mitzutragen. „Wir betrachten dies als Anerkennung dafür, dass Volkshochschulen das Thema Europa stets lebendig halten“, so der DVV-Vorsitzende Dr. Ernst Dieter Rossmann.
In der medialen Wahrnehmung war der Bürgerdialog der vhs Trier sicherlich das Highlight in der Reihe der Diskussionsveranstaltungen. Rund 70 Bürgerinnen und Bürger – ausgelost unter vhs-Kursteilnehmenden oder vorgeschlagen von zivilgesellschaftlichen Organisationen vor Ort – waren in die Europäische Rechtsakademie gekommen, um dort mit Bundeskanzlerin Angela Merkel über die Zukunft Europas zu diskutieren.
Etliche Personen kamen im Verlauf der anderthalb Stunden mit ihren persönlichen Anliegen zu Wort. Sie lernten die Bundeskanzlerin als überzeugte Europäerin kennen und als eine Regierungschefin mit erstaunlich detaillierter Kenntnis unterschiedlicher, oft mühevoller Aushandlungsprozesse.
Kritischen Fragen wich die Kanzlerin nicht aus, verwies jedoch mehrfach auf das, was bei aller berechtigten Kritik das aus ihrer Sicht Wesentliche ist: Europa als Friedensprojekt und als Wertegemeinschaft, die auf Toleranz und Anerkennung der Menschenrechte gründet, und in der es immer auch um Interessenausgleich geht.
Diskussionen an ungewöhnlichen Orten
Während die Mehrzahl der Dialogveranstaltungen in den eigenen Räumlichkeiten stattfand, hatten einige Volkshochschulen die Idee aufgegriffen, ihre Veranstaltung an einem ungewöhnlichen Ort mit besonderer Gesprächsatmosphäre stattfinden zu lassen. In Leipzig und Naumburg kamen Bürgerinnen und Bürger zu Diskussionsveranstaltungen in einer Straßenbahn zusammen, die Volkshochschule Datteln wählte ein Museumsschiff als Veranstaltungsort und auch in Castrop-Rauxel wurde auf einem Schiff diskutiert. In Stuttgart nutzte man eine Busfahrt zur Europäischen Zentralbank, um über die Leitfragen des Bürgerdialogs ins Gespräch zu kommen. Die Europäische Akademie in Sankelmark diskutierte in einer Dampflok, die zwischen Kappeln und Süderbrarup an der deutsch-dänischen Grenze verkehrt.
Positive Aspekte standen im Vordergrund
Drei vorgegebene Leitfragen strukturierten die Diskussion der Teilnehmenden: Wie erleben Sie Europa in Ihrem Alltag? Welche Rolle spielt Europa für Deutschland insgesamt? Wie sollte Europa in Zukunft aussehen? Zwar überwogen wie im Gespräch mit der Bundeskanzlerin auch in den Dialogen der Bürger untereinander die positiven Aspekte der EU, wie Reisefreiheit, gemeinsame Verbraucherschutzstandards und kultureller Austausch. Nicht selten kamen aber auch kritische Stimmen zu Europa zu Wort. Negativ bewertet wurde beispielsweise die mangelnde Solidarität, die Teilnehmende der EU bzw. einzelnen EU-Staaten vorwerfen. Soziale Ungerechtigkeit und das Wohlstandsgefälle in der EU könnten wiederum dazu führen, dass Deutschland seinen Lebensstandard senken müsste, um eine Angleichung mit anderen EU-Staaten zu erreichen, lautete eine Befürchtung.
Mit Sorge blickten einige Teilnehmende auch auf die Außengrenzen, die nicht ausreichend geschützt seien und unkontrollierte Zuwanderung ermöglichten. Überhaupt war die Flüchtlingspolitik der EU einer der häufigsten und kontroversesten Diskussionspunkte. Obwohl die Mehrheit der Volkshochschulen von konzentrierten und engagierten Diskussionsrunden berichtete, wurden Meinungen bei diesem Thema auch durchaus provokant geäußert. So fasste die Teilnehmerin eines Dialogs, in dem verschiedene Perspektiven aufeinandertrafen, die Erfahrung mit folgenden Worten zusammen: „Wir sind das Spiegelbild der jetzigen Europäischen Union. Jeder versucht, seine Meinung durchzupeitschen.“ Die Begleitung der Dialoge durch eine erfahrene Moderation war daher essentiell, um eine wertschätzende Auseinandersetzung der Teilnehmenden mit gegensätzlichen Ansichten zu ermöglichen.
Durchschnittlich 40 Personen kamen bei den Bürgerdialogen der Volkshochschulen ins Gespräch. Dass vielerorts viele Teilnehmende gewonnen werden konnten, lag sicherlich auch an Kooperationen wie etwa mit Europaschulen oder europapolitisch engagierten Organisationen, aber auch Sportvereinen, Seniorenbeiräten, Jugendparlamenten oder Jobcentern.
Anerkennung für Engagement der Volkshochschulen
Die Ergebnisse der Bürgerdialoge wurden von den Volkshochschulen protokolliert und im Auftrag der Bundesregierung von einem unabhängigen Dienstleister ausgewertet. Inzwischen hat das Kabinett den Bericht der Bundesregierung über den Bürgerdialog zur Zukunft Europas beschlossen. Dass Bürgerdialoge in Groß- und Mittelstädten genauso wie in kleinen Landgemeinden stattfinden konnten und viele verschiedene Perspektiven und Vorstellungen zur Sprache gekommen sind, sei insbesondere auch dem großen Engagement der Volkshochschulen zu verdanken, heißt es dort. Mit dem Kabinettsbeschluss wurden die Ergebnisse der Bürgerdialoge in Deutschland nach Brüssel übermittelt.
Lisa Freigang ist Grundsatzreferentin mit Schwerpunkt politische Bildung beim Deutschen Volkshochschul-Verband e. V.