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Deutscher Volkshochschul-Verband

Eine neue Perspektive auf die Bildungsarbeit mit Geflüchteten

„Curriculum interculturALE“ stärkt interkulturell-didaktische Kompetenzen

Von Meike Woller

Die Integrationsarbeit mit Geflüchteten erfordert die Bereitschaft zum Perspektivwechsel und große Offenheit für Gegensätze, ohne dabei Gemeinsamkeiten aus den Augen zu verlieren. Dies gilt insbesondere für Lehrkräfte aus der Erwachsenenbildung mit Geflüchteten, denn ihnen kommt eine wichtige Rolle im Integrationsprozess zu: Deutschkurse sind mehr als reine Sprachangebote, sie sind häufig ein erster Einstieg für Geflüchtete in die deutsche Gesellschaft. Damit öffnen sie einen Raum des gegenseitigen Kennenlernens und leisten einen Beitrag zu einer integrationsfördernden Atmosphäre. Doch die Lehrkräfte stoßen in ihrer Rolle auf vielfältige Herausforderungen: Sie müssen sich auf kulturelle Unterschiede einstellen – im Bildungshintergrund, in den Lerngewohnheiten und bei der Kommunikation mit Kursteilnehmenden. Auch müssen sie Strategien entwickeln, um im Unterricht sensibel und empathisch auf traumatisierte Geflüchtete eingehen zu können.

Das Projekt „Curriculum interculturALE“, welches DVV International von April 2017 bis Februar 2019 in Zusammenarbeit mit Partnern seiner Büros im Nahen Osten und einem internationalen Team von Expertinnen und Experten entwickelt hat, stärkt Lehrkräfte für diese Aufgaben. Die im Projekt erarbeitete „Interkulturell-didaktische Fortbildung“ vermittelt in drei Modulen, wie man durch eine verstärkte Reflektion eigenen Handelns und den Einsatz partizipativer Unterrichtsmethoden eine vertrauensvolle und wertschätzende Lernatmosphäre für Geflüchtete schaffen kann. Auch wird ein genauer Blick auf die spezifischen Geschichten, Lerngewohnheiten und Bedürfnisse Geflüchteter geworfen.

Verbindung von Inlands- und Auslandsarbeit des DVV

Das Fortbildungskonzept „Curriculum interculturALE“ fußt auf dem innovativen Ansatz, Wissen und Methoden aus der Arbeit mit Geflüchteten in Entwicklungsländern aufzugreifen und dazu zu nutzen, um Herausforderungen in der Integrationsarbeit in Deutschland zu meistern. Damit schlägt das Projekt

eine Brücke zwischen der Auslands- und der Inlandsarbeit des Deutschen Volkshochschul-Verbands. In die Konzeption des Projekts flossen partizipative Ansätze und Methoden ein, die sich in der Arbeit von DVV International mit Geflüchteten und weiteren marginalisierten Gruppen im Ausland bewährt haben. Vor allem in der Region Naher Osten realisiert DVV International mit kommunalen Partnern erfolgreiche Bildungsprojekte, die zu einer verbesserten Integration von Geflüchteten in die lokale Gesellschaft beitragen. In Jordanien gehören vor allem jene Menschen zur Zielgruppe, die aus ihrer syrischen Heimat flüchten mussten. Auch an deutschen Volkshochschulen finden sich viele syrische Geflüchtete in niedrigschwelligen Deutschkursen. Das Projekt beweist, dass die Lehrkräfte dieser Kurse von der Anwendung erwachsenenpädagogischer Ansätze und Methoden aus anderen Kulturkreisen profitieren können.

Die Gruppe der Studienreise trifft auf Teilnehmende eines Familienprojekts in Mafraq. Dort ist die Zahl der aus Syrien stammenden Flüchtlinge doppelt so hoch wie die der jordanischen Bevölkerung – und trotzdem gelingt ein respektvolles Miteinander.

Studienreise nach Jordanien ermöglicht den Perspektivwechsel

Im Projekt wurden 25 Multiplikatorinnen und Multiplikatoren durch das internationale Team zu Trainerinnen und Trainern für die „Interkulturell-didaktische Fortbildung“ ausgebildet. Ein wichtiger Baustein der Qualifizierung war neben drei Wochenend-Workshops eine fünftägige Studienreise nach Jordanien. Dort bekamen die Lehrkräfte Einblicke in die Arbeit von DVV International. Sie lernten Partnerorganisationen aus dem Bildungsbereich kennen und besuchten Zaatari, das größte Flüchtlingscamp in Jordanien. Die Lehrkräfte erlebten, welche Herausforderungen und Erfolge es bei der Umsetzung von Bildungsangeboten für Geflüchtete gibt, und konnten Parallelen zur Integrationsarbeit in Deutschland ziehen. „Die wichtigste Lernerfahrung war die Studienreise nach Jordanien, in der wir einen Einblick in die Arbeit mit syrischen Geflüchteten bekamen. Mitgenommen habe ich die Gefühle von Fremdheit und tiefer Verbundenheit zugleich. Auch habe ich bestimmte Leitmotive kennengelernt, die ein universelles Fundament für die Begegnung mit Geflüchteten zu sein scheinen: Respekt im Umgang miteinander, sich auf Augenhöhe begegnen und seine eigenen Annahmen und Projektionen über andere hinterfragen“, so einer der Mitreisenden über das Erlebte.

Umsetzung der Fortbildung in den Landesverbänden

Die im Projekt ausgebildeten Trainerinnen und Trainer führten in acht Landesverbänden „Interkulturell- didaktische Fortbildungen“ (16 Unterrichtseinheiten) für über 125 Teilnehmende durch. Ein Großteil waren ehrenamtliche Lernbegleitende und Lehrkräfte von „Einstieg Deutsch“ sowie von BAMFErstorientierungs- und Integrationskursen. Als besonders bereichernd empfanden sie den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen. Zudem profitierten die Deutsch-Lehrkräfte von den Informationen zu Fluchtursachen und Bildungshintergründen von Geflüchteten aus erster Hand. Viele wurden durch die Schulung stärker sensibilisiert im Umgang mit Vorurteilen und Stereotypen. Im Mittelpunkt stand auch die Diskussion und Vermittlung partizipativer Methoden wie beispielsweise REFLECT – einer innovativen Methodik zur Alphabetisierung. Diese zielt auf Empowerment ab und findet vielfach in der Entwicklungszusammenarbeit Anwendung.

Umfangreiche interkulturell-didaktische Materialien

Ein Ergebnis des Projekts ist die Publikation „Curriculum interculturALE“, die Einblicke in das Fortbildungskonzept und die dahinterliegenden Ansätze wie Multikollektivität, Active Citizenship und partizipative Bildung gibt. Daneben entstand ein Ordner mit vielfältigen Lehr- und Lernmaterialien. Dort finden sich unter anderem Übungen, Filme, Dossiers und umfangreiche Linksammlungen rund um Themen wie Kultur und Identität, Migration, die Bildungshintergründe von Geflüchteten, den Umgang mit Traumata sowie praktische Hinweise zur Lernerorientierung. Die Lehr- und Lernmaterialien eignen sich für die Fortbildung von Lehrkräften im Bereich der Sprachvermittlung, lassen sich aber darüber hinaus auch für die Sensibilisierung all derjenigen einsetzen, die sich in der Bildungsarbeit mit Geflüchteten engagieren.

Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise

  • Susanne Hassen
  • DVV International
  • Susanne Hassen