Von Caroline Minner
Das Verständnis von Interkulturalität, Integration und Inklusion beruht auf den Menschenrechten“ – so steht es im Leitbild der Volkshochschule Tübingen. Die Volkshochschule versteht Inklusion als gegenseitige Chance. Das bedeutet für uns als vhs, den Menschen Bildung nach ihren Bedürfnissen anzubieten – unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft, von Religionszugehörigkeit oder Bildungsgrad, von eventuellen Behinderungen oder sonstigen individuellen Merkmalen.
Inklusion im Alltag erfahrbar machen
Für uns ist Inklusion ein Konzept, das alle Bereiche der vhs-Arbeit durchdringt. Sei es der barrierefreie Zugang zum Gebäude, die Induktionsanlage (übrigens eine der ersten in Tübingen) oder die mobile Rampe für Rollatoren und Rollstühle, die auch von anderen Einrichtungen in Tübingen geliehen werden kann. Die Volkshochschule versucht, den Zugang zu ihren Angeboten allen möglich zu machen. Seit vielen Jahren zeigt die vhs Ausstellungen von Künstlerinnen und Künstlern mit Handicap und bietet Kurse in Kooperation mit der Lebenshilfe an. Und nicht zuletzt ist die Volkshochschule auch ein inklusiver Arbeitsort: Die Cafeteria der vhs verbindet Inklusion und sinnvolle Betätigung miteinander. Menschen mit Handicap finden hier einen Arbeitsplatz.
Nach außen sichtbar und erlebbar für alle wird diese Grundhaltung der vhs durch einen ganz besonderen Chor: die vhs Sign Singers.
Vom ersten Auftritt zum gefragten Ensemble
Überall dort, wo gesprochene Sprache für gehörlose Menschen in Gebärdensprache bzw. von Gebärden- in Lautsprache für hörende Menschen übersetzt werden muss, gibt es Bedarf an Menschen, die dieser mächtig sind. Gebärdendolmetscher werden überall gebraucht – ob am Arbeitsplatz, bei Elternabenden, Aus- und Weiterbildungen, Behörden, vor Gericht, bei Versicherungs-, Arztterminen, kulturellen oder politischen Veranstaltungen.
Rita Mohlau unterrichtet seit 2010 die deutsche Gebärdensprache an der vhs Tübingen. Sie ist selbst eine CODA (Child of Deaf Adults = hörendes Kind tauber Eltern). Also ist ihre Muttersprache die Deutsche Gebärdensprache (DGS). Im Jahr 2013 hatte sie für einen Tag der Offenen Tür an der vhs Tübingen ein Lied in Gebärdensprache einstudiert. Eine frühere Mitarbeiterin des Fachbereichs Kultur und Gestalten war zutiefst beeindruckt und hatte etwa ein Jahr später die Idee für ein gemeinsames Konzert mit dem Gönninger Gospelchor. Rita Mohlau ließ sich überzeugen. Sie hatte zwar durch ihren familiären Hintergrund bereits zur Musik gebärdet, aber nie mit einem ganzen Chor. Sie nahm diese neue Herausforderung an. Innerhalb von einer Woche wurden acht Stücke des Konzerts übersetzt und mit Kursteilnehmenden einstudiert.
Das ausverkaufte Benefizkonzert war ein erster großer Erfolg. Die Übersetzungsleistung ermöglichte tauben Menschen Partizipation am kulturellen Leben, baute Berührungsängste gegenüber Gehörlosen ab und wirkte integrativ. Menschen unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft kamen so trotz Sprachbarrieren miteinander in Kontakt. Da die Übersetzung in die deutsche Gebärdensprache auch einen mimisch-theatralischen Aspekt innehat, werden über die Worte hinaus auch Emotionen transportiert. Ein Gehörloser resümierte am Ende des Konzerts, er verstehe nun, warum Musik für hörende Menschen eine so hohe Bedeutung habe.
Auch in der Presse gab es nur positive Rezensionen über den gemeinsamen Auftritt der Chöre. „Wie frau ohne Worte eine unglaubliche Bühnenpräsenz hinbekommt, das muss den Sign Singers erst mal jemand nachmachen“, sagte zum Beispiel das Schwäbische Tagblatt. Bald erreichten Anfragen für weitere Auftritte die Volkshochschule. Auch für die Chor- Szene der Stadt war dies etwas völlig Neues. Obwohl in Tübingen fast 30 Chöre aktiv sind, gab es noch keinen, der in Gebärdensprache singt. So kam es, dass der große Erfolg des Konzertes den Startschuss für ein festes Ensemble an der vhs Tübingen gab und am 1. Januar 2016 die „vhs Sign Singers“ gegründet wurden.
Bilder finden für das, was der Text meint
Insbesondere sollen taube Menschen und Menschen, die mit der deutschen Lautsprache nicht oder nur wenig vertraut sind, mit diesem Chorprojekt erreicht werden. Sie sollen einen Zugang zum Inhalt und zur Poesie der Lieder über die deutsche Gebärdensprache erhalten. Die zur DGS gehörende Mimik und Gestik kann die Barrieren der deutschen Lautsprache überwinden und den Inhalt der Lieder verständlicher machen. Hörende, die der deutschen Lautsprache mächtig sind, zählen ebenfalls zur Zielgruppe. Auch für sie ist es ein besonderes Erlebnis, Lieder in Gebärdensprache übersetzt und so einen neuen Zugang zur Musik zu bekommen. Neben dem Hörsinn wird auch der des Sehens angesprochen und dadurch der Inhalt sowie die Grundstimmung der Lieder intensiver transportiert.
Ein gut gefüllter Konzertkalender
Wer anders als Rita Mohlau hätte diesen Chor leiten können? Sie bringt durch ihre langjährige Dolmetschertätigkeit und ihr Engagement im Tübinger Kulturleben die besten Voraussetzungen für eine solche Chorleitung mit. Deshalb stehen die vhs Sign Singers inzwischen regelmäßig bei inklusiven Veranstaltungen auf der Bühne, etwa bei der Abschlussveranstaltung des Europa-Aktionstags in Stuttgart im Mai 2019 oder beim„ Inklusiven Kulturabend“ in der Tübinger Musikschule. Großen Applaus bekamen die „Sign Singers“ während der Tübinger Kulturnacht 2016 sowie beim Festakt „70 Jahre vhs Tübingen“ 2017.
Der Konzertkalender ist für die nächsten Monate bereits gut gefüllt: Die Sign Singers sind live zu erleben Ende September in Heilbronn beim Wochenende der Gebärdensprache, im März 2020 in Reutlingen (zusammen mit dem Gospelchor Gönningen) sowie im Theaterhaus Stuttgart!
Die vhs Sign Singers buchen oder selbst mitgebärden
Bitte fragen Sie frühzeitig für mögliche Auftrittstermine an.
Der Chor probt vierzehntägig, donnerstags von 18.30 bis 20.30 Uhr, um deutsche und fremdsprachige Lieder in die deutsche Gebärdensprache(DGS) zu übersetzen und einzustudieren.
Die aktuellen 20 Mitglieder haben alle Gebärdensprachkurse an der vhs Tübingen besucht.
Sie möchten mitmachen? Eine Gebärdensprachkompetenz auf mindestens Niveaustufe A1 ist Voraussetzung zur Teilnahme.
Kontakt
Caroline Minner
Fachbereich Kultur und Gestalten
Caroline Minner
Katharinenstraße 18
72072 Tübingen
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