„Vielfalt. Begegnung. Bildung. Diversity-Management in den Volkshochschulen und ihren Verbänden“Die Vielfalt der modernen Gesellschaft, beeinflusst durch Globalisierung, Migration und den demografischen Wandel, prägt das Leben in Deutschland und der gesamten Welt. Wir können als Volkshochschulen nur erfolgreich sein, wenn wir die vorhandene Vielfalt erkennen und jede und jeden befähigen, sich mit ihren bzw. seinen Kompetenzen in die Gesellschaft einzubringen.
Was bedeutet dieser zentrale Satz aus dem DVV-Papier: „Vielfalt. Begegnung. Bildung. Diversity-Management in den Volkshochschulen und ihren Verbänden“ aber konkret? Um die vielfältigen Voraussetzungen und Interessen der vhs deutschlandweit zu berücksichtigen, wurden im Vorfeld zu diesem Interview Landesverbände und einzelne vhs gebeten, ihre Fragen zum Thema „Diversität/Vielfalt an den Volkshochschulen“ mit uns zu teilen. Diese Vorarbeiten bilden das Fundament für die Ausrichtung des Interviews.
„Diversity, Vielfalt, Diversität“– diese Begriffe sind heutzutage in aller Munde. Was ist eigentlich damit gemeint, wenn wir von Diversität in der Erwachsenenbildung sprechen?
Prof. Dr. Alisha M. B. Heinemann: Dafür müssten wir uns zunächst einmal fragen, was gemeint ist, wenn wir von Erwachsenenbildung sprechen. Institutionen der Erwachsenenbildung sind historisch aus einem emanzipatorischen Ansatz heraus entstanden. Sie wollten erstens einen aktiven Beitrag dazu leisten, gesellschaftliche Ungleichheiten durch lebenslang begleitende Lernangebote und Bildungsorte auszugleichen. Zweitens ging es ihnen darum, eine demokratische Gesellschaft mitzugestalten. Jene Institutionen, die sich auch heute noch diesen Zielen verschreiben, kommen nicht umhin, sich mit gesellschaftlichen Differenz- und Machtverhältnissen auseinandersetzen.
Hierarchisierende Kategorien wie das Konstrukt der „ethnischen Herkunft“, Gender, die sexuelle Identität, die Milieuzugehörigkeit, aber auch rechtliche Rahmenbedingungen wie der Aufenthaltsstatus spielen eine wichtige Rolle bei der Frage, wer in dieser Gesellschaft welchen Platz einnehmen kann. Wenn wir von Diversität in der Erwachsenenbildung sprechen, geht es dann vor allem um die Frage, was wir tun können, um a) die ausgrenzende Kraft dieser Kategorien, an denen Differenz festgemacht wird, in unserer täglichen Arbeit nicht zu reproduzieren und b) daraus entstehende Benachteiligungen aktiv zu reduzieren.
Warum ist es für die Volkshochschulen wichtig, ein diversitätsorientierter Lernort zu sein? Was wären die Volkshochschulen ohne diesen Ansatz?
Heinemann: Das eben genannte, historisch verankerte demokratische Kernanliegen von Erwachsenenbildungseinrichtungen ist der Grund dafür, warum die Volkshochschulen staatliche Steuergelder zur Unterstützung ihrer Arbeit erhalten und nicht einfach komplett privat organisierte und finanzierte Kleinunternehmen sind. Wenn nur ein kleiner und dann, abgesehen von den Deutschkursen, oft vergleichsweise privilegierter Teil der Bevölkerung sich in der vhs repräsentiert sehen kann, stellt sich die Frage, warum sie dann von Steuergeldern aller mitfinanziert werden sollte. Eine vhs, die Diversität nicht berücksichtigt, verliert somit ihre Legitimation und ihre besondere, gesellschaftlich relevante, ausgleichende Funktion. An vielen Stellen haben die Volkshochschulen diese Problematik erkannt und unternehmen wichtige Schritte – diese müssen jedoch ausgeweitet und verstetigt werden.
Die Volkshochschulen sind jedoch sehr unterschiedlich aufgestellt – eine Volkshochschule in einem kleinen Landeskreis in Bayern oder Brandenburg kann nicht wie eine großstädtische Volkshochschule in Berlin oder Frankfurt arbeiten. Ist das Thema „Diversität“ eher etwas für die großstädtischen Volkshochschulen?
Heinemann: Diese Frage wird häufig gestellt, was daran liegt, dass unter „diversitätsorientiert“ oft verkürzt das „Gewinnen von migrantischen Teilnehmer*innen“ durch ein besser abgestimmtes Programmangebot verstanden wird. Abgesehen davon, dass Migration nicht nur in den Großstädten stattfindet, umfasst das weite Konzept der Diversität ja Differenzlinien wie z.B. Geschlecht, sexuelle Identität, sozioökonomischer Status, Alter, Bildungsabschluss etc. Diese finden sich überall – nicht nur in Großstädten.
Und welche konkreten Schritte sollte die vhs umsetzen, um Diversität auf allen Ebenen zu berücksichtigen?
Heinemann: Sie sollte erstens ein von der Leitungsebene getragenes Leitbild und Profil entwickeln, das eine klare Ausrichtung der ganzen Organisation auf institutionelle Öffnung vorgibt, wobei migrationsgesellschaftliche Verhältnisse als Normalität und nicht als Sonderzustand bzw. dauernde Herausforderung in den Blick genommen werden sollten. Zweitens sollte die Personalstruktur auf allen Hierarchieebenen und insbesondere auf der Leitungsebene die jeweilige regionale Diversität abbilden. Drittens wäre es auf der Angebotsebene sinnvoll, mit den verschiedenen Communities (Vereine, migrantische/queere Communities, Kirchen, Moscheen etc.) vor Ort aktiv zusammenzuarbeiten und ihnen die Möglichkeit zu geben, mit Hilfe der infrastrukturellen Ressourcen der vhs, selbst Inhalte zu setzen und in den Räumen der vhs durchzuführen.
Vor allem aber sollte Diversity kein Randthema sein, mit dem sich eine Diversitätsbeauftragte alleine auf einer befristeten halben Stelle herumquält, oder etwas, was eine eh überlastete Fachbereichsleitung noch als Zusatzaufgabe bekommt. Fragen von Differenz und Macht müssen auf allen Organisationsebenen zum Thema werden. Dafür müssen ansprechend gestaltete Orte und Reflexionsräume geschaffen werden, in denen es nicht um Moral und Schuldfragen, sondern um kritische Reflexivität und veränderndes Eingreifen in benachteiligende Verhältnisse geht. Das könnten beispielsweise verpflichtende Fortbildungsangebote sein, eine Antidiskriminierungsstelle im Haus, diversitätsreflexive Kriterien bei Neueinstellungen, monatliche Reflexionstreffen für den Austausch etc. Auch wenn es am Anfang nach mehr Arbeit aussieht, wird es auf lange Sicht zur Entlastung der täglichen Arbeit führen. Denn andere Perspektiven eröffnen andere Möglichkeiten und eine vhs, die in der Stadt wirklich „ankommt“, wird auch von den Menschen vor Ort ganz anders akzeptiert.
Wir sprachen davon, dass Diversität nicht allein „migrantisch“ heißt. Trotzdem ist es auffällig, dass sich der Großteil der migrantischen Teilnehmenden in einem einzigen Bereich befindet: dem Deutschbereich. Warum funktioniert der Wechsel von den Deutschkursen in das „offene Angebot“ der Volkshochschulen so schlecht?
Heinemann: Menschen nehmen üblicherweise an Weiterbildung teil, wenn sie einen persönlichen oder beruflichen Nutzen darin sehen, wenn sie Zeit haben, die Angebote wahrzunehmen und wenn sie diese finanzieren können. Die Deutschkurse werden so breit angenommen, weil die Teilnehmenden sich entweder eine Erweiterung ihrer Handlungsmöglichkeiten versprechen, teilweise, weil sie zur Teilnahme verpflichtet wurden, weil an ihnen Zertifikate hängen, die für die Teilnehmenden aus unterschiedlichen Gründen notwendig sind, und/oder weil die Kosten für die Teilnahme im Verhältnis zur Stundenzahl niedrig und teilweise sogar kostenlos sind.
Die Teilnahmebedingungen im offenen Angebot sind völlig andere. Insbesondere der konkrete Nutzen vieler Angebote liegt oft nicht klar auf der Hand, sodass der finanzielle Aufwand nicht im richtigen Verhältnis zu stehen scheint. Dies gilt ja nicht nur für migrantische Teilnehmende, sondern grundsätzlich für die meisten Adressat*innen, die aus sozial und finanziell benachteilten Milieus kommen.
Studien zeigen, dass Migrant*innen, die mit einem hohen sozialen, kulturellen und ökonomischem Kapital ausgestattet sind, durchaus auch an dem offenen Angebot der vhs teilnehmen. Für die anderen ist ein Übergang in die offenen Angebote aus den Deutschkursen nur dann realistisch, wenn sie zeitlich entlastet werden (zum Beispiel durch Kinderbetreuung) oder die Inhalte etwas mit ihren persönlichen Interessen oder Zielen zu tun haben (Lebenswelt- und Bedarfsorientierung). Ferner müssten die Kurse sprachlich so aufbereitet sein, dass die Teilnehmenden mit einem B1-Niveau überhaupt folgen können (Sprachsensibilität), und zudem die Kosten so niedrig sein, dass sie in einem realistischen Verhältnis zu ihren oft prekären Einkommen stehen (Kostenreduktion).
Was ist Ihre Vision für eine vhs in der Migrationsgesellschaft?
Heinemann: Eine vhs der Zukunft ist nicht allein auf die Klugheit und das Geschick ihrer Fachbereichsleitungen angewiesen, wenn es darum geht, gute Angebote zu konzipieren. Vielmehr sollte sie eine Einrichtung sein, in der auf allen Ebenen Personen tätig sind, die die regionale Diversität selbst repräsentieren und die gut mit den jeweiligen Community -Gruppen vor Ort vernetzt sind. In Zusammenarbeit mit diesen Gruppen sollten dann spannende bedarfsgerechte Bildungsräume und -gegenstände zur Verfügung gestellt werden, die an die Ursprungsidee „Benachteiligungen ausgleichen und Demokratie fördern“ anknüpfen. Das schließt Angebote zur persönlichen Weiterentwicklung, Gesundheit, Kunst etc. nicht aus.
Sehr sinnvoll fände ich auch – wie es die Stuart Hall in Birmingham gemacht hat – eine engere Kooperation mit Universitäten, sofern diese räumlich gut erreichbar sind. Während Universitäten oft fehlende Praxisnähe unterstellt wird (zu ‚abgehoben‘ und realitätsfern), wird Angeboten der vhs oft ein Mangel an inhaltlicher Tiefe zugeschrieben. Eine engere Zusammenarbeit könnte beiden Institutionen helfen, breitere Akzeptanz zu erreichen, um ihre gesellschaftlichen Aufgaben noch besser erfüllen zu können. In Bremen gibt es dazu schon erste Vorgespräche zwischen Universität und Volkshochschule.