Bonn. Die Autor*innen der wichtigsten Lagebeurteilung zum deutschen Bildungssystem blicken mit Sorge auf das Gesamtprogramm Sprache des Bundes. Seit dem zweiten Quartal 2022 ist die Anzahl der Teilnehmer*innen an Integrationskursen massiv angestiegen. 634.000 Personen waren im Jahr 2022 berechtigt, an einem Integrationskurs teilzunehmen – knapp 100.000 mehr als 2016, womit ein neuer Höchststand erreicht wurde. Die Menschen warten jedoch oft lange auf einen Platz in einem Integrationskurs oder einem Berufssprachkurs, der ihnen die sprachlichen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt vermittelt. Der Bildungsbericht sieht Hinweise auf eine Bedarfsunterdeckung bei diesen Kursen und nennt mögliche Ursachen.
Bei den Integrations- und Berufssprachkursen, so der Bericht, werde Trägern und Lehrkräften erhebliche Flexibilität abverlangt. Sie würden auf die dynamische Nachfrage reagieren und trügen das Hauptrisiko bei der Kursdurchführung. Dabei seien die dafür verfügbaren finanziellen Ressourcen beschränkt. Die Expert*innen fragen, ob das Kurssystem unter diesen Bedingungen überhaupt leistungsfähig genug sei, um dem Bedarf nachzukommen.
Eine Ursache für die Engpässe bei den Integrations- und Berufssprachkursen sehen die Autor*innen des Bildungsberichts in dem bereits jetzt deutlich spürbaren Lehrkräftemangel. Überdies gäben 18 Prozent der für einen aktuellen Evaluationsbericht befragten Lehrkräfte in Integrationskursen an, auf der Suche nach einer alternativen Tätigkeit zu sein. Als Gründe für diese bedenkliche Entwicklung zitieren die Expert*innen Hinweise aus Verbänden auf bürokratische Auflagen, zu geringe Honorierung und mangelnde Beschäftigungssicherheit.
Weniger Lehrkräfte durch Einschränkung der Freiberuflichkeit
Aus Sicht des Deutschen Volkshochschul-Verbands verschärft sich der Lehrkräftemangel in der Weiterbildung noch zusätzlich durch die aktuelle Prüfpraxis der Deutschen Rentenversicherung (DRV), die den Status von freiberuflichen Lehrkräften untersucht. Dabei bescheinigt die DRV freiberuflich tätigen Dozent*innen an Volkshochschulen immer häufiger, in Wirklichkeit abhängig beschäftigt zu sein. Der Bildungsbericht geht in seinen Ausführungen über die Ursachen der Lehrkräfteknappheit auf die Prüfverfahren der Deutschen Rentenversicherung ein. Die Autor*innen erwähnen die sozialversicherungsrechtlich unklaren Prüfkriterien sowie die Unsicherheit für die Lehrkräfte und die Weiterbildungseinrichtungen, bei denen sie tätig sind.
Julia von Westerholt, Direktorin des Deutschen Volkshochschul-Verbandes, ist froh darüber, dass der Bildungsbericht die aktuelle Situation der freiberuflichen Lehrkräfte und der Einrichtungen, für die sie arbeiten, thematisiert: „Hier ist an prominenter Stelle nachzulesen, dass die laufenden Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung bei Freiberuflichen die Probleme in den Weiterbildungseinrichtungen vergrößern.“ Von Westerholt befürchtet, dass die Volkshochschulen, der größte Anbieter von Integrationskursen, immer mehr Kursleiter*innen verlieren könnten. „Wir brauchen jetzt ein Moratorium bei den Statusfeststellungsverfahren und so bald wie eben möglich eine gesetzliche Regelung, die Rechtssicherheit für freiberufliche Lehrkräfte schafft“, so die Verbandsdirektorin. Sie teilt auch die Einschätzung der Bildungsexpert*innen, dass der politische Handlungsspielraum zur Verbesserung von prekären Beschäftigungsbedingungen in der Weiterbildung stärker genutzt werden müsse.
Solide Finanzierung für Daueraufgabe Alphabetisierung
Auch im Hinblick auf eine weitere Kernaufgabe der Volkshochschulen sieht von Westerholt die Position des DVV durch den Bildungsbericht bestätigt. Der Bericht hebe einen offenkundigen Widerspruch hervor: „Die jüngste IQB-Erhebung und die neueste PISA-Studie zu Leistungen von Schüler*innen lassen nach Meinung der Autor*innen keinen Zweifel daran, dass Angebote zur Alphabetisierung und Grundbildung für Erwachsene auch in den kommenden Jahren dringend erforderlich sein werden. Eine bundesweit geregelte Grundfinanzierung dafür gibt es jedoch nicht. Der Bildungsbericht bestärkt uns in unserer Forderung danach.“
Weiterbildungsbeteiligung noch zu gering – Menschen brauchen Orientierungshilfe
Die Weiterbildungsbeteiligung belief sich laut Bildungsbericht im Jahr 2022 auf 54 Prozent. Sie blieb damit deutlich unter dem im European Pillar of Social Rights Action Plan gesteckten Ziel, die Weiterbildungsbeteiligung bei den 25- bis unter 65-Jährigen in Deutschland bis zum Jahr 2030 auf 65 Prozent zu erhöhen. Der Bericht weist darauf hin, dass dies auch an mangelnder Information liegen kann: 39 Prozent der Befragten zwischen 18 und 69 Jahren gaben 2022 an, zu wenig über Weiterbildungsmöglichkeiten zu wissen. Digitale Plattformen zur Orientierung über Weiterbildungsangebote seien nicht die alleinige Lösung, betonen die Autor*innen, denn es sei unklar, ob sie von allen genutzt würden. „Damit bestätigt der Bildungsbericht die eminente Bedeutung der Volkshochschulen als Bildungsberater live und vor Ort“, kommentiert Julia von Westerholt.
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