Berlin, Frankfurt, Potsdam und München sind seit jeher bekannt für ihre großen Volkshochschulen. Die Wenigsten wissen aber, dass die vier Städte mindestens genauso bedeutsam für die jüdische Erwachsenenbildung sind. Mit ihren Jüdischen Volkshochschulen bieten sie ein in Deutschland einzigartiges Angebot. Kurs- und Kulturprogramme, die von Hebräischkursen, über Stadtführungen bis hin zu handwerklichen Workshops reichen, sprechen ein vielfältiges Publikum an.
Institutionelle jüdische Erwachsenenbildung geht in Deutschland bis in die 1920er-Jahre zurück. Damals enstanden an mehreren Orten "Freie Jüdische Lehrhäuser", zunächst in Frankfurt, später auch in Berlin, Breslau, Köln, Dresden, Karlsruhe, Mannheim, Stuttgart und Wiesbaden. Bis zum Verbot und zur Schließung durch das NS-Regime, waren die Lehrhäuser eine zentrale Bildungsstätte für Jüd*innen in Deutschland.
In der Nachkriegszeit wurde die Tradition der Lehrhäuser erstmals in Berlin aufgegriffen. Hier gründete sich 1962 die erste Jüdische Volkshochschule (Öffnet in einem neuen Tab) in Deutschland. 1983 enstand die zweite JVHS (Öffnet in einem neuen Tab) in München, 1988 die Dritte (Öffnet in einem neuen Tab) in Frankfurt am Main, die Vierte (Öffnet in einem neuen Tab) in Potsdam.
Berlin: Mehr als 60 Jahre jüdische Bildungsarbeit
Die Jüdische Volkshochschule in Berlin blickt mittlerweile auf eine fast 60-jährige Geschichte zurück. Idee der Gründer*innen im Jahr 1962 war es, ein breites Publikum über das Judentum und über Israel zu informieren und Begegnungen sowie Gespräche über konfessionelle Grenzen hinweg zu ermöglichen. Darüber hinaus sollte der jüdischen Gemeinde ein Ort geboten werden, an der sie zusammenkommen, ihr Wissen vertiefen oder auffrischen und über die eigenen Werte und Zielsetzungen diskutieren kann.
Heute, sechs Jahrzehnte später, begrüßt die JVHS in Berlin bis zu 1500 Kursteilnehmer*innen und Veranstaltungsbesucher*innen im Jahr, so Ilan Kiesling, Kommissarischer Leiter der Einrichtung. Dabei richte sich das Angebot der JVHS nicht nur an Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, sondern an alle, die Interesse an einem jüdischen Kulturprogramm haben, so Kiesling weiter. In Zeiten der Corona-Pandemie sind die Berliner*innen dabei mit ähnlichen Herausforderungen wie andere Volkshochschulen konfrontiert. So bietet die JVHS seit Beginn der Pandemie neben Präsenzunterricht in Kleingruppen auch ein umfangreiches Kursangebot via Zoom an. Damit erreicht die Einrichtung nicht nur Berliner*innen, sondern auch Menschen außerhalb der Hauptstadt, fügt Kiesling hinzu.
Frankfurt: gemeinsame Geschichte der Volkshochschulen
Die Geschichte der Frankfurter Erwachsenenbildung ist schon seit jeher eng mit der jüdischen Gemeinschaft verwoben, erzählt Marc Grünbaum, Kulturdezernent der Jüdischen Gemeinde: „Von 1906 bis zu seinem Ruhestand 1930 gab es einen jüdischen Geschäftsführer des Frankfurter Bunds für Volksbildung, Wilhelm Epstein, der 1941 krankheitsbedingt in Frankfurt verstarb. Im gleichen Jahr wurde seine Witwe Else Epstein massiv von den Nationalsozialisten verfolgt, sie wurde zehn Monate im Konzentrationslager Ravensbrück gefangen gehalten und tauchte anschließend im Schwarzwald unter. Nach Kriegsende kehrte sie nach Frankfurt zurück und engagierte sich für den erfolgreichen Wiederaufbau des Frankfurter Bunds für Volksbildung.“
Aus jenem Frankfurter Bund für Volksbildung ging schließlich 1956 die Frankfurter Volkshochschule als eigene Abteilung hervor. 1988 entstand dann die Jüdische Volkshochschule in Frankfurt unter dem damaligen Kulturdezernenten Michel Friedman. Anders als in Berlin lag das Ziel der Frankfurter Gründer*innen darin ganz konkret das Angebot der Frankfurter Volkshochschule ergänzen.
Dies gelingt der JVHS bis heute. Insbesondere das Sprachangebot der jüdischen Erwachsenenbildner*innen findet großen Anklang, berichtet Marc Grünbaum. Hierbei liegt der Schwerpunkt vor allem auf Hebräischkursen. Kurse in Jiddisch und Althebräisch komplettieren den Sprachkursbereich. Eine zweite Programmsäule stellen Führungen durch das jüdische Frankfurt dar, so z.B. durch Frankfurter Stadtteile mit jüdischer Geschichte, durch die Westend-Synagoge, über die jüdischen Friedhöfe und zu Gedenkstätten. Die dritte und letzte Säule des Programms bilden praktischen Kurse, von jüdisch-osteuropäischer und israelischer Küche bis hin zu Handlettering.
Die Kurse finden in der Westend-Synagoge statt, die sich die JVHS mit Religionsschule der Gemeinde, Jeschurun, teilt. Förderung erhält die Einrichtung aus verschiedenen Quellen. So bekommt sie eine kleine Unterstützung durch das Stadtschulamt. Darüber hinaus finanziert sich die JVHS aus Gemeindegeldern und Teilnahmehonoraren. Zudem weist die Frankfurter Volkshochschule in ihrem Programm auf die Angebote der JVHS hin. Grünbaum: „Für uns ist das toll und es erhöht unsere Sichtbarkeit in der Stadt.“
Ein Jahr im Zeichen des Jubiläums
Eine wichtige Rolle für die Jüdischen Volkshochschulen spielte in diesem Jahr das Jubiläum „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“. So veranstaltete die Berliner JVHS gemeinsam mit dem Förderkreis Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der Moses-Mendelssohn-Stiftung Berlin die Vortragsreihe „Antisemitismus – Woher, weshalb, wohin? Dem Judenhass auf den Grund gehen“.
Auch die Frankfurt JVHS beteiligte sich am Jubiläumsjahr, indem sie beispielsweise die Smart Democracy-Veranstaltung des DVV „Was bedeutet es heute jüdisch zu sein“ (Öffnet in einem neuen Tab) mit in ihr Programm aufnahm. Marc Grünbaum betont aber auch: „Ich tue mich etwas schwer mit dem Fokus dieser Feierlichkeiten. Die Geschichte der Juden auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik in den vergangenen 1700 Jahren ist auch eine Geschichte der Verfolgung gewesen, weshalb wir die damit zusammenhängenden Programme als zu wenig reflektierend wahrgenommen haben. Gleichzeitig begrüßen wir das allgemeine Interesse am Judentum.“