von Katharina Reinhold
Warum dieses Seminar?
Das Smartphone ist immer dabei, jede freie Minute wird genutzt, um mit Freunden zu chatten, Videos zu schauen oder Online-Spiele zu spielen. Viele Jugendliche können sich ein Leben ohne ihr Smartphone und ohne Internetzugang nicht vorstellen. Im Selbstversuch sollten die Seminarteilnehmer*innen sich mit den Argumenten für und gegen ein Handyverbot in bestimmten Institutionen und Settings auseinandersetzen. Sie sollten zudem erkennen und reflektieren, wie sich ihr soziales Kommunikationsverhalten durch Online-Aktivitäten wie Chatten und Videostreaming auf die Beteiligung an gemeinsamen Aufgaben und die Integration in die Gruppe auswirken kann. Auch die Frage, wie Medienabhängigkeit die sozialpolitische Partizipation, nebst eigener Persönlichkeit und kultureller Entwicklung, stören und hemmen kann, stand zur Debatte.
Recherche-Experiment
Die Teilnehmer*innen erhielten zu Beginn des Seminars vom Referenten Jose Gutierrez einen Rechercheauftrag, den sie gemeinsam mit den anderen bearbeiten und diskutieren sollten. Fragestellungen waren: Wie kann/könnte eine Sachaufgabe mit den anderen Teilnehmer*innen in einem Messenger-Chat wie WhatsApp oder Telegram räumlich gestreut diskutiert werden?Wie kann dialogisch und synchron nach Antworten und Lösungen gesucht werden?
Ein unmoderierter, geschlossener Chat wurde für die Teilnehmenden auf Telegram eingerichtet, um einen internen und simultanen Austausch während der Veranstaltung zu ermöglichen. Dieser wurde rege genutzt, um sich gegenseitig abzusprechen, aber auch als Kommentierungsfunktion oder als Nachfragemöglichkeit beim Dozenten. Die Teilnehmer*innen erhielten einen WLAN-Zugang für ihre Smartphones und wurden auf verschiedene Räume verteilt, um mit den Geräten in der Gruppe lokal, aber online zu arbeiten.
Störungen durch Chats, Videos und Musik
Zum Abschluss der Rechercheübung erhielten die Teilnehmer*innen die Aufgabe, mit Hilfe eines Fragebogens Zeitleiste, Häufigkeit und Dauer der Arbeitsunterbrechungen bei ihrem Rechercheauftrag zum Beispiel durch Chateinwürfe, Videosurfing oder Musikhören zu dokumentieren. Der Referent hatte Zugriff auf den Router, wodurch er die Aussagen mit den Logstatistiken der Smartphones grob abgleichen konnte.
Es wurde deutlich, dass der Arbeitsablauf durch häufige simultane Tätigkeiten wie (erlaubtes) Trivialchatten etc. immer wieder gestört wurde. Die Störungen des „Zweckarbeitens” durch den interaktiven, aber an sich trivialen parallelen Austausch im Chat zwischen den Teilnehmern*innen wurde reflektiert. Die Teilnehmenden erarbeiteten im Anschluss gemeinsam Regeln für ihr künftiges eigenes Mediennutzungsverhalten.
Argumente pro und contra Smartphone-Verbote
Jose Gutierrez gab Input zu ordnungspolitischen, medizinischen und pädagogischen Argumenten für eine Einschränkung oder gar ein Verbot von mobilen Endgeräten (und damit einer Einschränkung der freien Kommunikation und der geschützten Persönlichkeitsrechte) an öffentlichen Orten wie Schulen, Bildungsinstitutionen, Justiz, Verkehr usw. Zudem wurden Ausschnitte aus einer Talkshow („Anne Will” zum Thema Digitalisierung der Gesellschaft vom 31.10.2016), und die sehr medienkritischen Aussagen von Professor Manfred Spitzer vorgestellt und diskutiert. In einem improvisierten Rollenspiel mit zwei Lagern – Befürworter*innen und Gegner*innen des Verbots – setzten die Teilnehmenden sich vertiefend mit Argumenten für und gegen die Einschränkung von Online-Aktivitäten auseinander.
Suchtgefahr
Auch das Thema Abhängigkeit bzw. Sucht von Online-Medien kam zur Sprache. Mit kleiner werdenden Geräten steige das Suchtverhalten, denn Smartphones passen in jede Hosentasche, so der Referent. Fehlende soziale Integration sowie Frust über das eigene Leben bahnten oft den Weg in die Medienabhängigkeit bis hin zur Sucht. Dabei könnten Medien zum Beispiel als eine Art Flucht aus dem Alltag und Verweigerung gesellschaftlicher Beteiligung interpretiert werden. Als „Gegenmittel” zur Sucht diskutierten die Teilnehmer*innen zum Beispiel reale Gruppenerlebnisse und einen aktiven zielbestimmten Zugang zu Recherchen.
Prävention durch Bildungsangebote?
Wie nachhaltig und langfristig die im Seminar erarbeiteten Regeln in den Lebensalltag der Teilnehmer*innen hineinwirken könnten, sei jedoch fraglich, so der Referent im Anschluss an das Seminar: „Es ist unangemessen, Nachhaltigkeit bei der Beachtung von ähnlichen Nutzungsregeln zu erwarten, ohne regelmäßige Schulungen oder nicht moderiertes Chatten als pädagogisches Instrument in Lernvorgängen einzubauen. Die Prävention durch Bildung und technisches Können kommt meistens zu spät, wenn die User schon seit mehreren Jahren ein eigenes Gerät haben.” Er sieht jedoch auch Chancen: „Durch das Training und entsprechende Angebote kann diese Technik für politische Partizipation, Open-Government und lebenslanges Lernen eingesetzt werden.”