von Sabine Giehle
Handwerkszeug zum Umgang mit Konflikten
Unter der Zielvorgabe „Konflikte erkennen – fair miteinander umgehen“ hatte die Hamburger Volkshochschule ins Trainingslager geladen: Drei Tage lang übten sich die 21 Schüler*innen der Rudolf Steiner Schule in Altona im Umgang mit unangenehmen Situationen.
Schulmediatorin Christine Laude und Coach Andrea Gerlach waren gekommen, um gemeinsam mit den jungen Leuten das Handwerkszeug zu erarbeiten, das man braucht, um mit Konflikten gut umzugehen und sinnvoll eingreifen zu können.
Freiwillig und motiviert
Zum Training waren Schüler*innen der Klassen 8 bis 12 im Rahmen einer Projektwoche geladen. Sie hatten sich freiwillig dafür angemeldet und wollten lernen, wie man sich in konfrontativen Situationen verhalten sollte. „Freiwilligkeit ist unabdingbar. Ohne die funktioniert das Training nicht“, erklärt Christine Laude, die gemeinsam mit Andrea Gerlach das Training entwickelte. „Die Jugendlichen waren sehr motiviert und engagiert“, stellt Laude fest. Die Atmosphäre beim Training war konstruktiv und entspannt. „Die jungen Leute gingen extrem achtsam miteinander um.”
Christine Laude, Schulmediatorin und Dozentin im Rahmen des ProjektsEin Konflikt ist eigentlich neutral. Es bedeutet ja nur, dass es verschiedene Interessen und Bedürfnisse gibt. Ein Konflikt kann Krise oder Chance sein. Wichtig ist, was man daraus macht.
Unterschiede in der Wahrnehmung
Mit praktischen Übungen, Rollenspielen, Diskussionen und Reflexionen näherten sich die Jugendlichen dem Thema „Konflikte“. Los ging es mit der Frage: „Was ist für dich ein Konflikt und was noch nicht?“ Ganz unterschiedlich waren die Einschätzungen und Vorstellungen. Danach wurde auf einem „Konflikt-Thermometer“ festgehalten, wer welche Situation wie stark als Konflikt einschätzt.
„Was ein Konflikt ist, wird ganz subjektiv empfunden. Entscheidend ist, zu verstehen, dass Konflikte etwas Positives sind“, erklärt Christine Laude.
Konflikt und Interesse
Um das erlebbar zu machen, schickten die Trainierinnen die Teenager in ein Spiel mit vielen Möglichkeiten: Sechs Freiwillige übernahmen unter den Augen ihrer Mitschüler*innen die ihnen jeweils zugewiesene Rolle in einer Großfamilie. Die glückliche Situation: Die Familie hat 60.000 Euro im Lotto gewonnen. Jetzt sollte entschieden werden, was damit zu tun sei. In der Rolle war jede*r frei. Einzige Vorgabe: Jedes Familienmitglied war der Meinung, dass ihre oder seine Lösung das Beste für alle sei.
In der anschließenden Analyse waren sich alle schnell einig: Die Strategie egoistischer Durchsetzung führt zu nichts, es wird gestritten, sich gegenseitig unterbrochen und durcheinandergeredet.
Gemeinsam Lösungen finden
Also gab es einen neuen Versuch: In der nächsten Runde mit sechs weiteren Freiwilligen herrschte die gleiche Situation. Doch die Vorgabe war eine andere: Diesmal galt es, ein Ergebnis zu finden, mit dem alle zufrieden sind.
Bei dieser Runde wurde nicht gestritten, es kamen alle zu Wort und es wurde gemeinsam an einer Lösung gearbeitet. „Allein diese Vorgabe genügte, dass die Jugendlichen anfingen, einander zuzuhören, nach Wünschen und Bedürfnissen der anderen zu fragen und konstruktiv und wertschätzend miteinander umzugehen“, erzählt Christine Laude.
Im Training lernten die jungen Menschen, aktiv zuzuhören und die Perspektive ihres Gegenübers einzunehmen. Sie fanden heraus, dass konstruktive Lösungen in einem Klima der achtsamen Toleranz gefunden werden. Dazu gehört auch, sich der eigenen Gefühle und Bedürfnisse bewusst zu werden und sie für die anderen transparent zu machen.
Erfahrung als Schlüssel
Wie man zu diesem Ergebnis kommt, entdeckten die Jugendlichen ganz von alleine. „Wir geben selbst wenig Input. Die jungen Menschen entwickeln die Inhalte unter unserer Anleitung selbstständig“, erläutert Laude das Konzept. „Das Training baut sehr stark auf Selbsterfahrung auf.“
Mit den neuen Erlebnissen und Erkenntnissen aus den Rollenspielen diskutierten die Teenager ihr Verständnis davon, was einen Konflikt ausmacht, neu. In kleinen Gruppen tauschten sie sich aus und reflektierten die neuen Erfahrungen. Ihre Schlussfolgerungen präsentierten sie jeweils den anderen Gruppen und erklärten sich gegenseitig ihre Gründe.
Konflikt als Chance
„Ein Konflikt ist eigentlich neutral. Es bedeutet ja nur, dass es verschiedene Interessen und Bedürfnisse gibt. Ein Konflikt kann Krise oder Chance sein. Wichtig ist, was man daraus macht“, fasst Laude zusammen. Diese Erfahrung konnten die Jugendlichen in den drei Projekttagen mit Hilfe der verschiedenen Übungen und Rollenspiele selbst machen. Darauf können sie künftig in Konfliktsituationen zurückgreifen. Die Erkenntnisse, die hängen bleiben: „Nicht vor dem Konflikt selbst muss man Angst haben. Er ist nur ein Anzeichen dafür, dass es etwas gibt, um das man sich kümmern muss. Und: Konflikte kann man fast immer so lösen, dass es allen Beteiligten etwas bringt“, fasst Laude zusammen.
Konflikt-Thermometer neu justiert
Mit diesem Perspektivwechsel auf das Thema wird das Konflikt-Thermometer neu justiert. Nicht nur das – der positive Blick gibt auch zusätzliche Handlungsmöglichkeiten frei. Niemand ist einem Konflikt ausgeliefert. Im Gegenteil: Die Situation eröffnet neue Räume. Christine Laude fasst das so zusammen: „Die Jugendlichen machen eine existentielle Erfahrung, die wie eine Erleichterung wirkt: Ich habe es in der Hand. Ich kann etwas tun.“ Mit diesem Handwerkszeug sind die jungen Menschen gerüstet, in Zukunft Konflikte nicht zu erleiden, sondern sie positiv und konstruktiv zu lösen.