von Katharina Reinhold
Neun junge Frauen und Männer mit und ohne Behinderung lernten im Rahmen des Demokratieführerscheins unter der Fragestellung „Wie wünschst du dir eine inklusive Stadt?“ die Kommunalpolitik in Donauwörth kennen. Sie setzten sich dafür ein, das Projekt „Notinsel“ in der Stadt einzuführen.
Demokratieführerschein
Das Konzept „Demokratieführerschein“ hat zum Ziel, jungen Menschen Basiswissen über die Funktionsweisen von (Kommunal-)Politik zu vermitteln, diese vor Ort zu erleben und ein eigenes Projekt zu erarbeiten und umzusetzen. Das Konzept wurde 2008/2009 entwickelt und wird seither von vielen Volkshochschulen angeboten. Mehrere praxisnahe und methodisch abwechslungsreiche Module finden über einige Wochen verteilt meist samstags statt und ermöglichen intensives und erlebnisorientiertes Lernen. Die jungen Teilnehmenden sollen darin unterstützt und angeleitet werden, ihre politischen Anliegen nicht nur zu erkennen, sondern auch zu artikulieren und möglichst zu realisieren.
Inklusives Modellprojekt
Jugendlichen mit Behinderung stand dieses Angebot bisher nicht ausdrücklich offen. Dies änderte sich im Rahmen eines Modellprojekts der Volkshochschule Donauwörth im Herbst 2014 (zeitgleich mit dem Modellprojekt der vhs Gütersloh). Neun junge Menschen zwischen 15 und 25 Jahren mit und ohne Behinderung trafen sich an sechs Samstagen, um sich gemeinsam mit Möglichkeiten der Mitbestimmung auf kommunaler Ebene zu befassen. Auch die Frage der Beteiligungsmöglichkeiten und der Förderung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen wie körperlichen oder geistigen Behinderungen war Thema des Projektes.
Gudrun Reißer, Geschäftsführerin der vhs DonauwörthWichtig bei der Umsetzung für uns war, dass wir den Kreisjugendring Donau-Ries mit der Projektstelle Inklusion, die Stadtjugendpflege Donauwörth und die Lebenshilfe Donau-Ries mit an Bord nehmen konnten.
Kommunalpolitik hautnah
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Demokratieführerscheins beschäftigten sich mit historischen Themen, mit einem Politik-ABC und der Arbeitsweise des Stadtrates und seiner Gremien. Auf dem Programm stand dabei zum Beispiel der Besuch einer Sitzung des Donauwörther Stadtrates. Wie diese ablaufen könnte, war zuvor in einem Planspiel simuliert worden.
Die Jugendlichen machten sich damit vertraut, wie man aus dem Nachrichtendschungel Wesentliches herausfiltert und Hintergründe erfährt. Auf spielerische Weise lernten sie, wie man gut verhandelt, einen Antrag formuliert und seine Interessen vertritt.
Während der verschiedenen Module kamen viele professionelle Referentinnen und Referenten zum Einsatz: Der Bürgermeister, ein Stadtrat, Mitarbeitende der Lebenshilfe, ein Journalist sowie Vertreterinnen und Vertreter des Kreisjugendrings, der Volkshochschule und der Stadtjugendpflege.
Sinnliches Erleben
Das gegenseitige Kennenlernen stand zu Beginn des Projektes im Mittelpunkt, etwa während einer gemeinsamen Stadtrallye. Möglicherweise bestehende Berührungsängste waren schnell vergessen. Die Jugendlichen machten auch neue körperliche Erfahrungen, indem sie Rollstuhl-Basketball spielten, sich in Gebärdensprache übten oder sich mit verbundenen Augen zurechtfinden mussten. So konnten sie sich ein Stück weit in die Situation von Menschen mit körperlichen Behinderungen hineinversetzen.
Eigenes Projekt: „Notinseln“ in der Stadt
Die Jugendlichen einigten sich demokratisch auf ein gemeinsames Projekt, für dessen Umsetzung sie sich einsetzten: Sie wollten das Projekt „Notinsel“ in Donauwörth verankern. Dabei handelt es sich um eine Idee der Stiftung Hänsel + Gretel: Ladengeschäfte, Banken, Apotheken etc. in der Stadt bieten sich als sichere Orte an, bei denen Kinder und Jugendliche in Notsituationen Hilfe finden können. Die Orte werden durch auffällige Aufkleber markiert und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschult. Die Jugendlichen wirkten darauf hin, dass die Stadt Donauwörth sich daran beteiligt. Inzwischen gibt es mehr als 20 „Notinseln“ in Donauwörth, Ansprechpartner ist die Stadtjugendpflege.
Herausforderungen und Erfahrungen
Die Teilnahme von drei jungen Menschen mit geistiger Behinderung stellte die Referierenden und Teilnehmenden vor die Herausforderung, zum Teil sehr komplexe Themen in leichter, verständlicher Sprache auszudrücken. Die Verantwortlichen empfehlen, bei ähnlichen Projekten die Referierenden vorab von Fachkräften aus Behinderteneinrichtungen schulen zu lassen, um ihnen Unsicherheiten zu nehmen und sie für die Verwendung leichter Sprache zu sensibilisieren. Zudem empfehlen die Veranstalter, dass eine Teamerin oder ein Teamer die Gruppe durchgehend bei allen Modulen begleitet. Für jedes Modul waren sechs Unterrichtseinheiten angesetzt, was sowohl von den behinderten Teilnehmenden als auch von den Referentinnen und Referenten zum Teil als sehr anstrengend empfunden wurde. Für das Modul „Behinderung selbst erleben“ sollte ein ganzer Tag eingeplant werden, es fand großen Anklang bei den Teilnehmenden.
Rückmeldung der Teilnehmenden
Die Teilnehmenden Lars Beck und Lydia Haller sagten zu ihren Erfahrungen: „Wir haben nicht nur viel Wissenswertes erfahren, sondern das Projekt hat uns auch wirklich Spaß gemacht.“ In der abschließenden Evaluation erhielt das Projekt von allen Teilnehmenden Bestnoten, mehrere Teilnehmende möchten sich unter Begleitung der Stadtjugendpflege auch künftig in die Kommunalpolitik einbringen.