Ahmed R. hat Glück gehabt. Der 34-jährige Syrer arbeitet als Assistenzarzt in einer süddeutschen Uni-Klinik. Er ist 2014 über Land- und Seeweg aus Syrien geflohen, hat sich selbst mit Unterstützung von ehrenamtlichen Helfern Deutsch beigebracht und den Deutsch B2 Test bestanden.
Ein halbes Jahr nach der Ankunft in Deutschland arbeitet er in Teilzeit mit einer vorläufigen Arbeitserlaubnis und wartet auf die Anerkennung seiner Approbation.
So direkt verläuft die Integration Geflüchteter in Gesellschaft und Arbeit selten. Nur wenigen gelingt der schnelle Zugang zum Arbeitsmarkt. Seit November 2015 haben lediglich rund 36.000 Personen aus acht nichteuropäischen Herkunftsländern eine Beschäftigung aufgenommen. Hautsächlich kommen die arbeitslosen Geflüchteten in Jobs auf Helferniveau in der Reinigung, Lagerei, Gastronomie oder im Verkauf unter. Dabei ist die Zahl der arbeitssuchend oder arbeitslos gemeldeten Schutzsuchenden riesig: 441.000 waren im Januar bei der Agentur für Arbeit oder den Jobcentern gemeldet.
Trotz aller Gesetze und Förderprogramme, die die Bundesregierung 2016 im Eiltempo zur Erleichterung des Zugangs zum Arbeitsmarkt auf den Weg brachte, lautet die öffentliche Erkenntnis: Die Integration Geflüchteter in Arbeit ist ein Marathon und kein Kurzstreckenlauf. Aufgrund rechtlicher und institutioneller Hürden, vor allem aber wegen fehlender Sprachkenntnisse oder kaum vergleichbarer Ausbildungswege, werden spürbare Integrationserfolge mittlerweile auf fünf bis zehn Jahre prognostiziert.
Starten statt warten
Mehrere Dutzend Programme wurden im vergangenen Jahr auf Bundes- und Landesebene zur zügigen Integration Geflüchteter geschaffen. Kernstück bleibt der Integrationskurs und das neu entstehende, sogenannte „Gesamtprogramm Sprache“. Daneben kommen die etablierten arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumente der Sozialgesetzbücher II und III zum Einsatz. Programmatisch liegen allen Maßnahmen die neuen, integrationspolitischen Maxime zugrunde: Spracherwerb so früh wie möglich, Verknüpfung von Berufs- und Sprachqualifizierung und „work first“, also schnell den Bezug zum Arbeitsmarkt schaffen.
Daher befinden sich aktuell die allermeisten Neuzugewanderten auf der Schul- oder an der Werkbank. Rund 306.000 Abgänge aus Arbeitslosigkeit in Fördermaßnahmen konstatiert die Bundesagentur für Arbeit (BA) für das vergangene Jahr. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verzeichnete sogar 320.000 Integrationskurseintritte in 2016. Weitere Kurse im Rahmen der nationalen berufsbezogenen Deutschsprachförderung (DeuFöV) sind angelaufen wie auch die BA-Maßnahmen zur Kombination von Kompetenzfeststellung, frühzeitiger Aktivierung und Spracherwerb (KompAS).
Gesamtprogramm Sprache wird sich weiter entwickeln
Die Bereitstellung von passgenauen (berufs-)sprachlichen Angeboten und Anpassungsqualifizierungen ist gegenwärtig nur eine der Herausforderungen, um mittel- bis langfristig Bildungswege für Geflüchtete erfolgreich zu gestalten. 2017 gilt es, den Zugang zu Sprachkursen weiter zu beschleunigen, bestehende Programme nachzujustieren, die Übergänge zwischen den Förderinstrumenten und -institutionen zu harmonisieren.
Konkret plant das BAMF den inhaltlichen und quantitativen Ausbau der Kombimaßnahmen von Sprache und Beruf. Die Fachstelle für Berufsbezogenes Deutsch im Netzwerk Integration durch Qualifizierung (IQ) erarbeitet dazu verschiedene Konzepte für Spezialmodule zur Berufsanerkennung, für Mediziner oder für gewerblich-technische Berufe. Die Rahmenbedingungen werden so gestaltet, dass Sprach- und Fachdozenten interdisziplinär zusammenarbeiten, der Erkenntnis folgend, dass berufliche Handlungskompetenz immer auch sprachliche Kompetenz ist.
Sprache und Beruf sind zwei Seiten einer Medaille, wenn es um Integration geht. Die Frage, ob beide förderpolitisch weiterhin nebeneinander existieren, wird auch davon abhängen, wie gut die fördermittelgeber-übergreifenden Kooperationsmodelle wie KompAS oder Kommit (Kooperationsmodell mit berufsanschlussfähiger Weiterbildung) in der Praxis im Zusammenspiel der Bildungsträger funktionieren werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) spricht in Bezug auf die neue Verordnung (DeuFöV) von einem „Lernenden Instrument“.
Volkshochschulen als lernende Organisationen
Wie flexibel und effektiv Volkshochschulen auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen reagieren, haben sie im 2016 unter zeitlichem Hochdruck bewiesen: von der kurzfristigen Bereitstellung erweiterter Kurskapazitäten bis hin zur Steuerung ehrenamtlichen Engagements. Mit Erhöhung von Teilnehmerpauschalen und Kursleiterhonoraren reagierte die Politik auf die veränderten Marktbedingungen. Damit Volkshochschulen auch die Daueraufgabe Integration meistern können, ist eine solide Finanzierung erforderlich. Dafür setzt sich der DVV zusammen mit den Landesverbänden ein.
Gleichzeitig stehen viele Volkshochschulen vor der Frage, wieweit sie ihr Engagement im Handlungsfeld Integration noch ausbauen können und wollen. Dafür gibt es keine pauschalen, sondern nur kommunal unterschiedliche Antworten. Darauf weist der DVV in seinem Positionspapier „Integrationskurse an der Schnittstelle Sprache/Beruf“ hin.
Volkshochschulen sollten die Orientierung auf arbeitsmarktpolitische Bildungsmaßnahmen verstärken. Die absehbare Zunahme der Arbeitslosigkeit von Geflüchteten führt zu einer neuen Facette struktureller Arbeitslosigkeit, vor allem, wenn man den Familiennachzug berücksichtigt. Weitere Entwicklungen geben zusätzliche Impulse, über die berufsbezogene Profilierung neu nachzudenken, darunter die Förderung von Grundbildung durch Arbeitsagenturen, die wachsende Koordinierung von Bildung auf kommunaler Ebene, der Ausbau von Qualitätsmanagement an Volkshochschulen.
Befragungen zeigen die hohe Bildungsambition von Geflüchteten. 46 Prozent der Erwachsenen streben einen Schul-, 66 Prozent sogar einen beruflichen Abschluss an. Gleichzeitig äußern sie eine hohe Arbeitsmotivation.
Die Integration in Bildungssystem und Arbeitsmarkt steht erst am Anfang. Ausreichende Grundbildung und ein Schulabschluss sind unabdingbare Voraussetzungen. Berufliche Bildung und Arbeit sind entscheidend für die Vermeidung von Parallelgesellschaften und zur nachhaltigen Integration – allesamt genuine Aufgaben von Volkshochschule.
Joachim Rattinger leitet den Programmbereich Beruf beim Bayerischen Volkshochschulverband und ist Sprecher des Bundesarbeitskreises Arbeit und Beruf.