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Deutscher Volkshochschul-Verband

Inklusive politische Bildung etablieren

Standpunkte, Herausforderungen und Lösungsansätze

von David Jugel und Tina Hölzel

Einleitung: INKLU…_? %&$Ö_:;#1(&$“!!___ WHAT?

Wenn im Bildungsbereich das Wort des Jahres gewählt werden würde, so wäre INKLUSION sicherlich schon zum zweiten Mal in Folge als Sieger hervorgegangen. Kaum eine pädagogische Fachzeitschrift, eine TV-Dokumentation, Tagung oder Talkshow, in der nicht schon über Inklusion gesprochen, gedacht oder gestritten worden wäre. Dabei hat sich die Inklusionsdiskussion kaum auf ein Konzept oder eine Vorstellung oder auch eine gemeinsame Idee der umzusetzenden Konsequenzen einigen können. Vielmehr zeigt sich bei der Recherche zum Thema Inklusion ein kaum überblickbares und durchaus widersprüchliches Feld, das sich jedoch der intensiven Auseinandersetzung lohnt.

Dieser herausfordernden Aufgabe einer Konkretisierung und sogleich vertieften Weiterentwicklung des Konzepts von Inklusion entlang von Forschung und Praxis für den Bereich der politischen Bildung stellen sich die Autorin und der Autor des vorliegenden Textes vor dem Hintergrund ihrer Tätigkeit im Zentrum für inklusive politische Bildung¹(ZipB). Als lernendes Laboratorium wird mit dem Zentrum ein Raum geschaffen, in dem sich Bildungspraxis und (politische) Bildungsforschung auf Augenhöhe begegnen. Konkret werden hier inklusive Bildungskonzepte für die politische Bildung durch einen iterativen² und kooperativen Entwicklungsprozess der (politischen) Bildungspraxis und -wissenschaft gemeinsam erforscht und (weiter-)entwickelt, praktisch erprobt und in die Breite der politischen Bildung getragen. Ziel ist es dabei, praxisbasierte und theoriegestützte Konzepte zu entwickeln, die eine politische Bildung beschreiben, die allen Menschen Teilhabe ermöglicht. Der hier vorliegende Beitrag möchte skizzenhaft aufzeigen, welche ersten Erkenntnisse und Prozesse im Rahmen der Forschung des ZipB bereits identifiziert und an dieser Stelle an die Bildungspraxis weitergegeben werden können. Dazu wird analog zum Forschungsprozess selbst hier zunächst auf die Theoriebezüge zum Inklusionsbegriff bzw. -konzept eingegangen, um aus diesen anschließend Aussagen über Herausforderungen und Lösungsansätze einer inklusiven politischen Bildung abzuleiten. Darauffolgend wird noch konkretisierend ergänzt, wie sich Methoden und Themen in inklusiven Lernsettings ausgestalten könnten.

Auf der Suche nach einem Inklusionsverständnis in der politischen Bildung

Wenn (in politischer Bildung) von Inklusion gesprochen wird, was ist dann gemeint? Dieser Frage musste sich nicht nur das ZipB zu Beginn seiner eigenen Forschungstätigkeit stellen. Dieser Frage bedarf es aus unserer Sicht zu Beginn einer jeden Auseinandersetzung, denn: Die Frage nach einem Inklusionsverständnis kann nicht nur vielfältig beantwortet werden (Wocken 2009), sie hat auch einen erheblichen Einfluss auf das praktische Handeln in pädagogischen Kontexten (Schache 2012).

Beim Blick auf das über den Forschungsbereich der politischen Bildung hinausreichende Feld der Inklusion wird gleichsam deutlich, dass…

  1. aufgrund der Popularisierung des Inklusionsbegriffs als öffentliches Schlagwort eine immer weitreichendere, unscharfe Verwendung stattfand, die u.a. Katzenbach, Hazibar/Mecheril und Köpfer/Nitschmann als „Verwahrlosung von Inklusion“ bezeichnen (zit. n. Katzenbach 2015, S. 19).
  2. sich nicht allein die als inklusiv bezeichnete Bildungspraxis dabei ausdifferenziert bzw. ungebremst vervielfältigt hat, sondern sich auch die Breite und Vielfalt der Theorieangebote zur Inklusion von den Ansätzen der materialistischen, ökosystemischen und kritischen Theorie in den 1990er-Jahren fortentwickelt und sich dabei mannigfach und unübersichtlich vermehrt hat (ebd.).

Der Verwahrlosung des Inklusionsbegriffs in Theorie und Praxis sollte daher ein analytisches Konzept von Inklusion gegenübergestellt werden, das sich zu dem bisher geführten Diskurs verhält und eine kontextuierte Positionierung vornimmt. Sowohl in der Forschungsarbeit des ZipB selbst als auch in der intensiven Zusammenarbeit mit Praktiker*innen der politischen Bildung erwies es sich schnell als hilfreich, diesen Diskurs über Inklusion in der politischen Bildung entlang von fünf Fragen zu führen.

Hierzu wurde ein Fragenmodul für die Sensibilisierung von Praktiker*innen der politischen Bildung erarbeitet, welches auch an dieser Stelle helfen kann, ein analytisches und begründetes Verständnis von Inklusion zu entwickeln. Bei diesem Modul handelt es sich jedoch nicht um ein Instrument, das statische Definitionen generiert. Vielmehr bildet es den aktuellen Stand der Auseinandersetzung des ZipB zum Inklusionsverständnis ab.

Abb. 1: Inklusionsverständnisfragen aus dem Sensibilisierungsmodul des ZipB, Quelle: eigene Darstellung.

Das Fragenmodul zeigt auf übersichtliche Weise, welche diversen Antworten rund um ein Inklusionsverständnis aktuell aufgezeigt werden können. Die dahinterliegenden mannigfachen Theoriebezüge können hier nicht skizziert werden, sind aber Bestandteil des partizipativen Sensibilisierungsangebots des ZipB. Aufbauend auf dem aktuellen Fragenmodul hat sich auch für die Arbeit im ZipB ein differenziertes Verständnis von Inklusion, das zunächst auf einer Makroebene angesiedelt ist, ergeben:

Inklusion ist demnach ein gesamtgesellschaftlich interaktiver (e) Transformationsprozess (b), der darauf abzielt, diskriminierende soziale Konstruktionen (a/c) aufzulösen und für alle Menschen (d) Teilhabe³ (a) zu ermöglichen.

Dieses Inklusionsverständnis auf der Makroebene ist Teil eines fortwährenden partizipativen Auseinandersetzungsprozesses und Wissenstransfers zwischen dem ZipB und verschiedenen Partner*innen der politischen Bildung. Als aktuelle Prozessmarke unterliegt es immer wieder Veränderungen und Weiterentwicklungen. Empirische Befunde und die praktische Auseinandersetzung mit Konzeption, Durchführung, Auswertung und inklusiver Weiterentwicklung politischer Bildungsangebote haben jedoch schnell verdeutlicht, dass ein solches Verständnis auf der Makroebene allein nicht ausreicht. Es bedurfte einer sichtbareren und analytisch übertragbaren Konkretisierung von Inklusion auf die Mikroebene. Darüber hinaus erschöpft sich der Versuch, inklusive politische Bildung zu etablieren, nicht nur in einer Verortung auf der Makro- und Mikroebene, sondern stellt auch die Frage nach der Überwindung diverser Herausforderungen auf verschiedenen Ebenen. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, dies zu skizzieren.

Herausforderungen und Lösungsansätze zur inklusiven Arbeit in der außerschulischen politischen Bildung

Die Sachberichte des Projektes „Junge VHS inklusiv“ sowie die Forschungen des ZipB zeigen, dass als zentrale Herausforderung in der politischen Bildung das gemeinsame Lernen von heterogenen Gruppen wahrgenommen wird. Auch wird in dem Wunsch nach Fachtagen und Begegnungen mit Betroffenen der Bedarf an Erfahrung und Kompetenz im Umgang mit diesen Gruppen deutlich.

Wenngleich diese Bedürfnisse wichtig und richtig erscheinen, führen sie häufig zu einer Verengung und der Vorstellung, dass durch die reine Umstellung der Methodik oder der Zusammensetzung der Lerngruppen inklusive Bildungsprozesse ermöglicht werden können. Eine fehlende bzw. verengte transformelle Sichtweise auf den inklusiven Gesamtprozess kann dann aber Grund des Scheiterns werden (Booth 2012). Einen wesentlichen Ansatz zur Überwindung dieser Herausforderung hat das ZipB in Form eines Transformationsmodells entwickelt. Dabei unterliegt das Modell selbst einem Wandlungsprozess und bildet den derzeitigen Forschungsstand des ZipB ab.

Es stellt eine notwendige Wandlung auf mehreren Ebenen in den Fokus, welche im Video in Form von Fragen knapp dargestellt werden sollen.

Transformationsmodell des Zentrums für inklusive politische Bildung

Welche Transformationen sind auf Subjektebene notwendig?

Dass die Einstellungen von Akteur*innen für inklusive Bildungsprozesse relevant sind, wurde schon mehrfach nachgewiesen (u.a. Booth/Ainscow 2011, Langner 2015, Schache 2012). Vor allem Autor*innen der kritischen politischen Bildung fordern schon länger eine Sensibilisierung des Fachdiskurses sowie der politischen Bildner*innen und der Teilnehmer*innen. Im Zentrum steht dabei die Analyse von Macht- und Herrschaftsverhältnissen, die auf Demokratisierung, den Abbau von Unterdrückung, Ungleichheit und auf die Überwindung von Ausgrenzung abzielt (Lösch/Thimmel 2010). Eine inklusive politische Bildung, die sensibel auf Ausschluss eingeht, sollte sich dieser Forderung anschließen und sollte Parallelen zwischen der in der kritischen Theorie gängigen Trias von Race, Class und Gender und Ausschlussmechanismen jedweder Marginalisierung aufzeigen und theoretisch fassbar machen.

In der Praxis ergeben sich daraus zwei wesentliche Anforderungen an die Veränderungen für handelnde Akteur*innen. Zum einen scheint es notwendig, intrasubjektive Prozesse zu initiieren, das heißt, dass Akteur*innen sich mit Ausschluss, den Folgen und der Überwindung sowie der eigenen Rolle in diesem Kontext selbstbestimmt auseinandersetzen müssen und darüber eine ausschlusssensible Perspektive sowie ein eigenes Inklusionsverständnis entwickeln. Die oben angeführten Fragen bzw. das entsprechende Modul eignen sich für diesen Prozess. Zum anderen sollten gemeinsam intersubjektive Ansprüche formuliert werden. Das bedeutet, dass unter Einbeziehung aller am Prozess beteiligten politischen Bildner*innen und ausschlusserfahrenen Teilnehmer*innen die eigene Verantwortung und der Wirkwille hinsichtlich eines gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozesses diskutiert und konstatiert werden. Darüber hinaus sollen Konzepte zur Transformation des eigenen Handelns sowie von Strukturen und Abläufen erstellt werden. Daraus ergeben sich die ersten Ansprüche für die Struktur- und Prozessebene.

Welche Transformationen sind auf Strukturebene notwendig?

Als Struktur wird hier die Passung des Bildungskontextes auf individuelle Bedarfe verstanden. So finden sich im Fachdiskurs der politischen Bildung bereits Konzepte, die dem Postulat einer strukturellen Anpassung auf individuelle Bedarfe aus verschiedenen Perspektiven entgegenkommen. Unter anderem sind hier das Konzept der Elementarisierung, das von einer Reduktion des politischen Orientierungswissens ausgeht (Schiele 2009), der Ansatz der Lebensweltorientierung (Calmbach/Borgstedt 2012) oder die Forderung nach nicht ausschließenden Kommunikationsformen (Bremer/Klemann-Göhring 2015) zu nennen. Letztlich bedarf es in der Praxis einer Analyse der konkreten Ausschlussmechanismen und deren Überwindung durch adaptive und flexible Ansprache hinsichtlich u.a. Komplexität, Lebenswelt, Kultur, Kommunikation und der Veranstaltungsorte. Darunter fallen sowohl bauliche Barrierefreiheit, flexible Materialien und Methodensettings als auch situativ-adaptive Kommunikationsformen. Hieraus ergeben sich direkte Referenzen auf die tatsächliche Ausgestaltung des politischen Bildungsprozesses.

Welche Transformationen sind auf der Prozessebene notwendig?

Unter prozessualen Transformationen soll hier die Entwicklung von Lernsettings verstanden werden, die auf einer Analyse individueller Lernausgangslagen beruhen. Ansatzpunkte zur Individualisierung, Differenzierung und zu methodischen Überlegungen, die besonders mit heterogenen Lernausgangslagen umgehen, wurden im Fachdiskurs der politischen Bildung immer wieder am Rande in verschiedenen Ansätzen dargelegt (u.a. Frech et al. 2010; Ziegler 2009; Kühberger/Windischbauer 2013). Eine gesättigte theoretische und empirische Fundierung für politische Bildung in heterogenen Lerngruppen bleibt der Diskurs bisher schuldig. Daher hilft hier der Blick über den Diskurs hinaus weiter. Das ZipB arbeitet dahingehend mit vier wesentlichen Prinzipien, die hinsichtlich kompetenzorientierter Diagnostik, Durchführung und Evaluation von politischen Bildungsangeboten zugrunde gelegt werden können.

Ausgangspunkt der vier Prinzipien ist die Bedeutung von Emotionen für das Lernen und für Entwicklungsprozesse. Man spricht in diesem Zusammenhang davon, dass Emotionen das Gehirn öffnen und schließen (Vigotskij zit. n. Steffens 2016). So sind Anerkennung und Bindung sowie sinnhafte und als bedeutungsvoll bewertete Prozesse entwicklungs- bzw. lernförderlich (u.a. Dederich/Jantzen 2009, Horster 2009, Hafeneger 2013, Himmelmann 2013, Henkenborg 2013, Jantzen 2012). Eine zentrale Rolle für diese emotionalen Prozesse spielt ihre Kopplung an den sozialen Austausch (Dialog), in dem es durch Wechselwirkungen zu Resonanzprozessen und dadurch zur Entwicklung und zum Lernen kommt (Rosa 2016). In diesen wechselseitigen Austauschprozessen (nicht nur sprachlich, u.a. auch mimisch und gestisch) konstituiert sich erst Sinn und Bedeutung für den Einzelnen (Jantzen 2012). Anschlussfähig daran ist die Erkenntnis, dass zum einen entsprechend der individuellen Bedarfe differenziert, aber gleichzeitig an einem gemeinsamen Gegenstand (einer gemeinsamen Idee) kooperiert werden muss (Feuser 1989), um die obenstehenden lernförderlichen emotionalen Prozesse sicherzustellen. Das folgende Prinzipienmodell des ZipB fasst die vier Komponenten zusammen und versucht sich in einer ersten Übersetzung für die Praxis.

Abb. 2: Prinzipienmodell einer inklusiven politischen Bildung, Quelle: eigene Darstellung

Wird der Mensch vom Dialog ausgeschlossen, so können alle vier Prinzipien und folglich auch Lernen nicht stattfinden: Es kommt zur Isolation (Jantzen zit. n. Steffens 2016). Die Folgen von Isolation können verschiedene Kompensationshandlungen sein, die sich zunächst in Form von Rückzug, Aggression oder selbststimulierenden Verhalten (beispielsweise nervöses Kippeln, zappeln oder klopfen) manifestieren können (Steffens 2016). All diese Reaktionen werden weithin aber nicht als Reaktion auf Ausschluss, sondern als Störung wahrgenommen (Störmer 2013). Die Herausforderung besteht also in der Identifizierung von ausschließenden Momenten, der Interpretation von Kompensationsverhalten als Hinweis auf Isolation und der adäquaten Anpassung des Prozesses in der Situation. Diese Identifizierung und Interpretation kann nur dann nachhaltig gelingen, wenn an diesem Prozess die Teilnehmer*innen von Bildung als Expert*innen in eigener Sache einbezogen werden (von Unger 2014). Es bedarf also für eine inklusive politische Bildung eines partizipativ entwickelten Settings, das im sozialen Austausch (Dialog und Kooperation) am gemeinsamen Gegenstand Anerkennung und sinn- und bedeutungsvolle Prozesse ermöglicht und Isolation vermeidet.

Welche Rückschlüsse ergeben sich aus der ersten praktischen Auseinandersetzung mit den Transformationsebenen?

In der praktischen Arbeit mit dem Transformationsmodell zeigte sich, dass die Erfahrungen der Bildner*innen auf struktureller und prozessualer Ebene dazu führen, dass sich die intra- wie auch intersubjektiven Prozesse und Einstellungen verändern. Das bedeutet, dass aus der Auseinandersetzung oder Aneignung dieser Fähigkeiten neue Ansprüche entspringen, die sich wiederum in strukturellen und prozessualen Veränderungen niederschlagen. Eine Erkenntnis daraus ist, dass es verschiedener Fähigkeiten bedarf: empathisch und flexibel zu handeln, Lernsettings flexibel und vielfältig denken zu können, und es braucht kompetenzorientierte diagnostische Grundkenntnisse. Vor allem wechselnde Gruppen und oft kurze Zeiträume in der außerschulischen politischen Bildungsarbeit machen situatives und adaptives Handeln notwendig, wenn auch gleichsam herausfordernd. Die Transformation ist als ein iterativer Prozess, der zwischen Sensibilisierung, Ansprüchen, Praxis, Reflexion und neuen Ansprüchen oszilliert, zu verstehen. Für diesen ressourcenaufwändigen Prozess bietet sich eine partizipative, wissenschaftliche Begleitung an.

Methoden und Themen für eine inklusive (außerschulische) politische Bildung

Praktiker*innen fordern nicht ohne Grund an dieser Stelle oft konkrete Ideen und Umsetzungsmöglichkeiten, die über eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Inklusionsprozess hinausgehen. Das ZipB kann im Sinne einer inklusiven politischen Bildung keine fertigen Rezepte für Bildungspraxis allgemein formulieren, da diese wie oben verdeutlicht nach flexiblen, adaptiven sowie situativen Handlungsstrategien verlangen. An dieser Stelle wollen wir uns jedoch nicht aus der Verantwortung stehlen, sondern versuchen, Ideen und Prozesskatalysatoren so konkret wie möglich zu benennen. Gemeinsam mit diversen Praxispartner*innen der politischen Bildung in der partizipativ-empirischen Forschung ist es uns gelungen, konkrete Ansatzpunkte für politische Bildungsarbeit zu identifizieren, welche sich in der Zusammenarbeit mit ausschlusserfahrenen Menschen als hilfreich erwiesen haben. Durch die exemplarische Darstellung im Folgenden wird jede*r Leser*in angehalten, sich anhand des Beispiels für die ganz eigene situative und individuelle Praxis mögliche Transfererkenntnisse abzuleiten und zu übertragen. Die Beispielsituation im Folgenden wird so konkret wie nötig, aber auch so generell wie möglich (um den Transfer zu erleichtern) beschrieben. Es handelt sich um eine oft anzutreffende pädagogische Situation: Ein*e pädagogische*s Team/ Person möchte für einen bestimmten Zeitraum mit einer Gruppe von Teilnehmenden zu einer politischen Fragestellung arbeiten. Die Gruppe ist zuvor nicht bekannt.

Methoden zum dialogischen, gemeinsamen Arbeiten in selbstbestimmten Räumen

Bereits vor Beginn der eigentlichen pädagogischen Situation ist hier zu fragen, ob die Möglichkeit besteht, mehr Informationen über die Teilnehmenden in Erfahrung zu bringen, zum Beispiel in Form eines persönlichen Treffens vorab oder aber in Form einer Abfrage. Wichtig bei diesem Vorabkennenlernen ist vor allem das Interesse sowie die Erwartung der Teilnehmenden (Sinn + Bedeutung). Wenn bereits erste Erkenntnisse über soziale Beziehungen in der Gruppe gewonnen werden können, ist dies ebenso relevant (Bindung). Sollte ein Vorabkennenlernen nicht möglich sein, so muss sich diese Phase des Austauschs und der Bekundung von eigenen Interessen und Erwartungen an den Beginn der pädagogischen Situation selbst verlagern (Sinn + Bedeutung).

Bei der Einbeziehung der mit ehrlichem Interesse erfragten Erwartungen und Bedürfnisse (Anerkennung) stehen nun zwei verschiedene Wege zur Verfügung, die je nach Konstitution der eigenen Arbeitsweise verschiedene Formen der partizipativen Integration ermöglichen.

  1. Das Setting (Thema, Methode, Ablauf...) des eigenen pädagogischen Angebots ist relativ stark festgelegt.
  2. Das Setting ist flexibel und offen gestaltet.

Egal ob es sich um ein eher festgelegtes oder flexibles Setting handelt, ist es wichtig, zu Beginn Möglichkeiten der Selbstbestimmung der Teilnehmenden bewusst und deutlich herzustellen (Sinn + Bedeutung). In festen Settings kann hier je nach Enge des Konzeptes über Abläufe, über A- oder B-Varianten, über Pausen, über Themen- und Prozessgewichtungen o.ä. gemeinsam mit der Gruppe entschieden werden. Wichtig ist es hier, das eigene Konzept als zum Teil verhandelbares Angebot für die Teilnehmenden deutlich zu machen, das viele Möglichkeiten anbietet. Es muss dabei erkennbar werden, welche Aspekte verhandelbar sind und welche nicht. Wenn Aspekte nicht verhandelbar sind, sollte nachvollziehbar erklärt werden können, aus welchen Gründen dies geschieht. Die Reflexion des eigenen Angebots im Voraus kann unter dieser Perspektive sehr fruchtbar und katalysierend wirken, befragt man doch vermeintlich feststehende Strukturen auf ihre Plausibilität hin. Menschen mit besonders starken Ausschlusserfahrungen können sich durch eine solche eingeforderte Mitbestimmung zunächst überfordert fühlen. Nicht selten kommunizierten uns ausschlusserfahrene Menschen, dass Momente der Mitbestimmung und Teilhabe bei ihnen zunächst Unsicherheit und Irritation auslösten, hatten sie doch bisher kaum oder nie solche Situationen durchlebt.

In offenen Settings kann noch weitreichender vorgegangen werden. Hier kann gemeinsam mit der Zielgruppe aus einem großen Pool an Angeboten, die offen gestaltet sind, ausgewählt werden oder das Vorhaben kann von Beginn an in einem gemeinsamen Prozess erarbeitet werden. Hier bietet es sich auch an, die Themen- und Methodenauswahl selbst zum Aushandlungsprozess und so zum politisch-pädagogischen Projekt werden zu lassen. Es kann jedoch auch ein klassischerer Weg gegangen werden, der eine möglichst freie Auswahl aus einem bestehenden Angebot eröffnet. Dies ist nicht nur in der außerschulischen politischen Bildung mit ihren Projektangeboten denkbar, sondern auch im curricularen Rahmen schulischer politischer Bildung – durch Wahlpflichtbereiche, Abläufe und Themengewichtungen. Und nicht zuletzt die methodische Ausgestaltung kann entlang der Bedürfnisse und Erwartungen der Teilnehmenden ausgerichtet sein – bewegungsreich oder -arm, sprachentlastend oder -basiert etc. Zentral dabei bleibt, dass innerhalb der methodischen Ausgestaltung Räume für dialogische Prozesse zwischen Teilnehmer*innen und/oder den Bildner*innen entsprechend ihrer Aneignungsmöglichkeiten angeboten werden (Dialog + Kooperation). Die politische Bildung stellt hierfür zahlreiche interaktive Methoden bereit (siehe Kühberger/Windischbauer 2013). Darüber hinaus sollte geprüft werden, inwieweit Feedbackkulturen und Materialien des Lernsettings Anerkennung ermöglichen. Die Arbeit an einem gemeinsamen Gegenstand und Selbstwirksamkeitserfahrungen unterstützen dabei Bindungen innerhalb der Gruppe. Das ZipB hat eine Form der partizipativen wissenschaftlichen Begleitung entwickelt, die es politischen Bildner*innen ermöglicht, gemeinsam und interaktiv ihre Projekte entlang dieser Vorgehensweise zu überprüfen und (fort)zu entwickeln.

Ein bedeutsames und sinnstiftendes Thema für alle!

Nicht nur die Frage nach einer inklusiven methodischen Umsetzung soll hier andiskutiert werden. Es soll auch auf die herausfordernde Frage eingegangen werden, wie im Rahmen einer inklusiven politischen Bildung Themen konstituiert sein sollten, die...

  1. individuell anschlussfähig und bedeutsam für jede*n einzelne*n Teilnehmende*n sind (Sinn + Bedeutung) und gleichsam
  2. zu einem gemeinsamen Gegenstand der Auseinandersetzung einer ganzen Gruppe werden können (Dialog + Kooperation, gemeinsamer Gegenstand).

In der Zusammenarbeit mit politischen Bildner*innen und ausschlusserfahrenen Menschen konnte das ZipB dabei ein genuin politisches Thema identifizieren, welches in besonderer Weise geeignet ist, individuelle und diverse Zugänge entlang eigener Erfahrungen und Interessen zu generieren. Gleichzeitig eröffnet es Möglichkeiten, gemeinsam als Gruppe an dem Thema zu arbeiten sowie es für die gruppenspezifische Sozialkonstellation zu verhandeln: (Un-)Gerechtigkeit (Sinn + Bedeutung, gemeinsamer Gegenstand). Die eigene Betroffenheit und Lebenswelt ermöglichen einen individuellen Zugang und ein gemeinsames Interesse, sich über Ungerechtigkeit und deren Überwindung auszutauschen. Gleichzeitig zählt Gerechtigkeit zu den Basiskonzepten der politischen Bildung (Besand et al. 2011) und erlaubt einen Zugang zu anderen politischen Grundfragen.

Fazit – eine inklusive politische Bildung ist möglich

Bereits die einleitend angesprochene Diskussion konnte andeuten, dass es sich bei Inklusion im Bildungsbereich zwar um ein vielfach diskutiertes und wichtiges, aber zugleich auch herausforderndes Konzept handelt. Dieser Artikel und die Arbeit des ZipB möchten aufzeigen, dass sich Bildner*innen auch über einen theoretischen Anspruch hinaus eine inklusive Praxis Schritt für Schritt vorstellen, erarbeiten und umsetzen können und dass sie nicht an einem widersprüchlichen und oft unklaren Diskurs scheitern müssen. Es konnte gezeigt werden, dass...

  1. durch Sensibilisierungs- und Schulungsprozesse rund um Ausschluss auf der Subjektebene die wichtige Haltung von Bildner*innen selbstbestimmt entwickelt werden kann und dass
  2. inklusive Lernsettings durch zentrale Elemente auf der gestalterischen Prozess- und Strukturebene wie Bindung, Anerkennung, dialogische Situationen (Kooperation) sinnhafte und bedeutsame Themen und Prozesse an gemeinsamen Gegenständen teilnehmer*innenbestimmt entwickelt und etabliert werden können.

Der Weg zur inklusiven politischen Bildung bleibt herausforderungsreich. Doch besonders in der praktischen Zusammenarbeit mit ausschlusserfahrenen Menschen in einem inklusiven Lernsetting erwarten uns nicht nur neue und spannende, sondern auch besonders wertvolle und bereichernde Momente des gemeinsamen Austauschs und Entwickelns. Es kann und sollte gewagt werden!


Fußnoten:

¹ Das Zentrum wurde im Herbst 2014 in Dresden gegründet und ist eine Kooperation der TU Dresden (Professur für Didaktik der politischen Bildung und Professur für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt inklusive Pädagogik) mit der Heinrich Böll Stiftung Sachsen. 

² „Iterativ“ bedeutet hier, dass es sich um einen schrittwiesen und wiederholenden Prozess handelt, der durch Erprobung, Analyse und Überarbeitung geprägt ist. 

³ Teilhabe schließt hier ein, dass Zugang, Chancengerechtigkeit und Selbstbestimmung ermöglicht werden.

Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise

  • David Jugel / Tina Hölzel
  • ZipB - Zentrum für inklusive politische Bildung
  • David Jugel / Tina Hölzel