Corona verändert alles – oder?
Die Covid-19-Pandemie, die inzwischen seit mehr als eineinhalb Jahren unser aller Leben bestimmt, ist für junge Menschen eine große Herausforderung. Nicht zuletzt haben das all diejenigen zu spüren bekommen, die unter Pandemie-Bedingungen einen Schulabschluss gemacht oder ein Studium begonnen, eine Ausbildung abgeschlossen oder einen Freiwilligendienst geplant haben. Die Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie durchkreuzten so manche Pläne und ließen lang verfolgte Träume platzen. Viele junge Menschen fühlen sich durch Corona ausgebremst.
Doch die Pandemie greift nicht nur an institutionellen Übergangsphasen im Jugend- und jungen Erwachsenenalter tief in das Leben junger Menschen ein. Wichtige Sozialisationserfahrungen in der Jugendphase sind bzw. waren durch die verschiedenen Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie – wie etwa Kontaktverbote, Schließungen von Bildungs- und Freizeiteinrichtungen sowie Einschränkungen der Mobilität – deutlich erschwert. Die Sichtweisen und Bedarfe junger Menschen wurden zudem strukturell zu wenig erhoben und berücksichtigt. Die Erfahrungen, die die jetzt 15- bis 30-Jährigen seit Beginn der Pandemie gemacht haben, werfen daher auch Fragen nach zukünftigen Teilhabechancen junger Menschen auf.
Der Beitrag bilanziert, wie sich die Teilhabe junger Menschen während der Covid-19-Pandemie gestaltet hat und welche Bewältigungsstrategien junge Menschen angesichts der vielfältigen erlebten Belastungen entwickelt haben. Zudem wird auf mögliche langfristige gesellschaftliche Auswirkungen der Pandemie im Zusammenhang mit Zukunftsängsten und Mitbestimmung eingegangen. Abschließend steht die Frage nach zukünftigen Unterstützungsbedarfen und Ansatzpunkten für die partizipative Gestaltung eines Übergangs in post-pandemische Zeiten im Mittelpunkt.
„Danke, dass ihr fragt“ – Mangelnde Beteiligung junger Menschen während der Pandemie
Wie verändert sich die gesellschaftliche Beteiligung von jungen Menschen während der Covid-19-Pandemie? Dies war eine der Leitfragen, zu der die JuCo-Studien (Andresen et al. 2020a, 2020b, 2021) Aufschluss geben sollten. Im Frühjahr und November 2020 beteiligten sich an den Studien JuCo I über 5.520 und an JuCo II über 7.000 junge Menschen zwischen 15 und 30 Jahren, um Auskunft über ihre Erfahrungen in der Pandemie zu geben. Für viele junge Menschen war diese Umfrage eine willkommene und äußerst rare Gelegenheit, während der Krise überhaupt zu Wort zu kommen. Dies zeigen auch die vielen Kommentare junger Menschen zum Fragebogen, aus denen einige Zitate in diesem Text verwendet werden.
Denn die Beteiligung junger Menschen bei politischen Entscheidungen oder der Gestaltung ihrer Alltagswelten war auch schon vor der Covid-19-Pandemie in Deutschland nicht ausreichend im Sinne ihrer Rechte etabliert (vgl. Andresen et al. 2019, Kantar Public 2019). Während der Pandemie wurden die Beteiligungsmöglichkeiten vielfach noch weiter ausgesetzt – sei es aufgrund der Schließung außerschulischer Angebote, im Zuge des wiederholten Verschiebens und Pausierens von Mitbestimmungsgremien oder wegen der Schwierigkeiten, junge Menschen mit digitalen Angeboten in ausreichendem Maße zu erreichen. Es überrascht daher leider nicht, dass im Rahmen der JuCo-II-Studie 58,3 Prozent der Befragten angeben, „gar nicht“ bis „eher nicht“ davon auszugehen, dass ihre Situation für Politiker*innen eine Rolle spielt.
Doch Beteiligungsrechte junger Menschen sind kein „Schönwetter-Recht“, das in Krisenzeiten ausgesetzt werden kann. Sie sind Teil der von Deutschland im Jahr 1990 ratifizierten UN-Kinderrechtskonvention (National Coalition Deutschland, o. J.). In diesem völkerrechtlichen Vertrag ist fest verankert, dass junge Menschen ein Recht auf gesellschaftliche Teilhabe und Mitbestimmung haben. In einer Stellungnahme fordert entsprechend das Deutsche Institut für Menschenrechte die Beachtung der Kinder- und Jugendrechte in allen politischen Entscheidungen und verweist u. a. darauf, „dass die Ermittlung des Kindeswohls nur dann sachgerecht erfolgt, wenn die Vorgaben aus Artikel 12 UN-KRK – Recht auf Gehör und Berücksichtigung der Meinung des Kindes – eingehalten werden“ (Deutsches Institut für Menschenrechte, S. 7ff).
Am 8. Juni 2021 ist die von der Großen Koalition vereinbarte Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz für die Legislaturperiode gescheitert (DKHW 2021). Mit Blick auf die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen ist dies eine Enttäuschung, erst Recht in Zeiten der Pandemie. Was in der Krise und auch schon davor zu schlecht gelungen ist, müssen wir jetzt umso stärker angehen: Wir müssen die Perspektive junger Menschen konsequent erheben und bei Entscheidungen einbeziehen. Nur so können Lebenslagen sichtbar gemacht und positiv gestaltet werden.
Nicht zuletzt sind Akteur*innen der Politischen Jugendbildung gerade jetzt, im sukzessiven Übergang in eine postpandemische Phase, dazu aufgerufen, die Pandemie-Erfahrungen junger Menschen in weitere Planungen einzubeziehen, altersspezifische Bedarfe zu berücksichtigen und zum Nachteilsausgleich beizutragen. Das Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ der Bundesregierung (BMFSFJ 2021) weist dazu in eine gute Richtung. Doch ob die Förderperspektive bis Ende 2022 angesichts der langfristigen Auswirkungen der Pandemie auf die zukünftigen Teilhabechancen junger Menschen ausreichend ist, ist fraglich.
„Ich mache mir sehr starke Sorgen um meine Zukunft“ – Langfristige Auswirkungen der Pandemie
Schließlich ist es ja so: Nur wer beteiligt wird und dies auch so wahrnimmt, kann ein Gefühl von Selbstwirksamkeit entfalten. Neben der Einschätzung vieler junger Menschen, gerade im Ausnahmezustand der Pandemie nicht genug beteiligt zu werden, prägt die Angst vor der Zukunft ihr Lebensgefühl. So zeigen Ergebnisse aus JuCo-II, dass 45,6 Prozent der Befragten „voll“ oder „eher“ und weitere 23,1 Prozent „teilweise“ der Aussage zustimmen, dass sie sorgenvoll in die Zukunft blicken. Doch jugendspezifische Anliegen stehen im öffentlichen Diskurs hinter organisationalen Fragen und Abwägungen zum Infektionsschutz stark zurück. Zu viel wird über statt mit jungen Menschen gesprochen. Dabei wird die Pandemie gerade auch auf deren Leben langfristige Auswirkungen haben.
Das grundlegende Vertrauen darauf, dass die Sorgen junger Menschen gesehen und von der Politik ernst genommen werden, scheint erschüttert. Hinzu kommen Themen wie psychische Belastungen (z. B. Ravens-Sieberer et al. 2021), Mediensucht und andere Effekte der weitgehenden Verlagerung jugendlichen Lebens ins Digitale (z. B. DAK 2020), verpasste Chancen für Erfahrungen der Selbstorganisation (OKJA 2021) oder im Ausland (z. B. DBJR 2020) und damit für die Identitätsbildung in der Jugendphase wichtige Schritte zur Entwicklung von Autonomie und Selbstwirksamkeit. Ungleiche Voraussetzungen im Lern- und Lebensalltag junger Menschen an Schulen und zu Hause tragen zu wachsender Bildungsungleichheit bei und können bestehende Defizite noch verstärken (z. B. Dohmen/Hurrelmann 2020). Auch auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt können sich fehlendes Vertrauen in die Politik und Sorgen über die eigenen Zukunftsaussichten negativ auswirken.
Besonderen Risiken für langfristige Benachteiligungen sind Jugendliche ausgesetzt, die unter prekären Bedingungen beispielsweise in Armut oder mit Beeinträchtigungen leben. Viele finden individuelle Wege, mit diesen Belastungen umzugehen. Doch dabei dürfen wir es nicht bewenden lassen. Damit der Ausgleich von Nachteilen aufgrund der Pandemie kein Gegeneinander wird, sind außerschulische Akteur*innen als Gegengewicht gefragt. Initiativen und Impulse sind nötig, um zu verhindern, dass junge Menschen beim „positionalen Wettbewerb um Bildungszertifikate“ (Brown 2004) zusätzlich unter Druck geraten und soziale Benachteiligung verstärkt wird. Dabei lohnt es, nicht nur über neue Prüfungsformate und Abschlüsse nachzudenken. Auch und vor allem sollten wir gerade jetzt nach Wegen suchen, jungen Menschen über soziale Grenzen hinweg aus der geteilten Erfahrung der Krise heraus neue gemeinschaftliche Lernerfahrungen zu ermöglichen.
„Wir versuchen ganz verzweifelt, alles richtig zu machen“ – Bewältigungsstrategien in der Corona-Zeit
Das Wegfallen von sozialen Räumen mit den Peers verändert den Jugendalltag grundlegend. Es nimmt den jungen Menschen alltägliche Bewältigungsmöglichkeiten, die für den psycho-sozialen Ausgleich in dieser Lebensphase zentral sind. Von ihnen wird erwartet, zu funktionieren und an ihren Qualifikationen zu arbeiten, obwohl in Schulen und anderen Einrichtungen alles anders als gewohnt verläuft.
Mit wenigen Worten skizziert ein*e Jugendliche*r die Unsicherheit, der junge Menschen in der Pandemie gegenüberstehen, und wie er*sie damit umzugehen versucht: „Wir jungen Menschen versuchen, glaube ich, ganz verzweifelt, alles richtig zu machen“. Die Anpassung an unausgesprochene gesellschaftliche Erwartungen in einer Zeit, in der so Vieles unklar und nicht planbar ist, scheint eine Bewältigungsstrategie zu sein. Sehr viele junge Menschen handeln in dieser Ausnahmezeit solidarisch und halten sich an die Corona-Regeln. Klagen und Forderungen sind selten geworden. Eher scheinen sich die Jugendlichen mit dem zu arrangieren, was möglich ist. Sie konzentrieren sich auf ihre Arbeit, das Studium, die Schule oder Ausbildung, suchen sich im persönlichen Umfeld Unterstützung und engagieren sich darüber hinaus sozial.
Doch diese hohe Anpassungsleistung wird bislang seitens der Erwachsenen (z. B. an Schulen oder von politischen Entscheidungsträger*innen) wenig wertgeschätzt und von den jungen Menschen kaum aufgebrochen oder hinterfragt. Viele Jugendliche sprechen vom grundlegenden Gefühl, dass Corona ihren Alltag neu sortiert hat und sagen, dass es sich anfühlt, als würde das Leben „pausieren“. So kommentiert ein*e andere*r Befragte*r in der JuCo-Studie: „Für mich persönlich ist die Corona-Zeit eine nicht endende Warteschleife.“ Für das Handlungsfeld der Politischen Jugendbildung muss dies als klarer Auftrag verstanden werden. Zu lange wurde sie gegenüber der Schulbildung als „Zusatzangebot“ angesehen und unterschätzt. Dabei ist es gerade jetzt an der Zeit, aus dieser Position heraus junge Menschen in ihrer Frustration abzuholen und gemeinsam mit ihnen die Zeit nach der Pandemie mit neuen Ideen zu gestalten.
„Ich wünsche mir ‚einfach‘ Normalität zurück“ – Ansatzpunkte für die Politische Jugendbildung
„Einfach“ zur Normalität zurückkehren – ein*e Befragte*r äußert Zweifel, ob das so ohne Weiteres gehen wird. Doch vielleicht ist eine Rückkehr zur Situation „wie vor Corona“ auch gar keine so gute Idee? Zumindest mit Blick auf die Teilhabechancen junger Menschen dürfen wir mehr erhoffen. Die Covid-19-Pandemie hat die Defizite in der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen noch stärker sichtbar gemacht, die es nun mit voller Kraft gemeinsam anzugehen gilt. Es stellt sich die Frage nach zukünftigen Unterstützungsbedarfen und Ansatzpunkten für die partizipative Gestaltung des Übergangs in post-pandemische Zeiten.
Zentrale Leitlinie muss die Weiterentwicklung struktureller Beteiligungsmöglichkeiten für und mit jungen Menschen sein, etwa in Form von Beteiligungsgremien auf Landes- und kommunaler Ebene. Angesichts der tiefgreifenden Veränderungen des öffentlichen Raumes besteht zudem die dringende Notwendigkeit, neben der Relevanz von organisierten Freizeitangeboten auch offene Räume für Jugendliche stärker in den Fokus zu stellen. Jungen Menschen müssen Möglichkeiten eröffnet werden, frei zu interagieren, sich auszuprobieren und unreglementiert mit anderen jungen Menschen zusammenkommen zu können (Mengilli 2021).
Diese Bemühungen müssen von Beteiligungsangeboten und Nachteilsausgleichen flankiert werden (Andresen et al. 2020c). Dabei müssen wir Infrastrukturen und die Digitalisierung in den Blick nehmen, die Möglichkeiten für niedrigschwellige sowie unbürokratische Beratung und soziale sowie materielle Unterstützung stärken und bürokratische Hürden für eine gelingende Unterstützung abbauen. Das Einlösen des Rechts auf Beteiligung Jugendlicher und deren Befähigung zur Mitwirkung muss zu einer dringenden Aufgabe Politischer Jugendbildung werden. Dazu gehört es, Zugang zu Informationen zu ermöglichen und Erfahrungen der Selbstwirksamkeit zu schaffen, Heterogenität anzuerkennen und jungen Menschen nach dieser einschneidenden Zeit mit Offenheit und Wertschätzung zu begegnen.
Selbstwirksamkeit ist nicht nur für die individuelle Lebenssituation in Krisenzeiten ein wichtiges Element, sondern auch für die Entwicklung gesellschaftlicher Problemlösungen. Jugendbeteiligung muss in ihrer gesellschaftlichen Relevanz gesehen und ernst genommen werden. Politische Jugendbildung ist dazu aufgerufen, sich dafür stark zu machen.