von Katharina Reinhold
Interessante Orte entdecken, sich mit geschichtlichen und politischen Themen beschäftigen, Menschen kennenlernen und nebenbei die deutschen Sprachkenntnisse verbessern – und das auch noch corona-konform. Diese Kombination lockte im Sommer 2020 viele junge Menschen aufs Fahrrad, um im Rahmen eines Angebots der Hamburger Volkshochschule nachhaltige Bildungsreisen „On Bike“ zu erleben. Die Touren richteten sich an jugendliche Geflüchtete, Migrant*innen und schon länger in Hamburg lebende junge Menschen.
Drei verschiedene Tagestouren standen zur Auswahl:
- die Velo-Route 13/14 in Richtung Billstedt mit Besuch der Al-Nour-Moschee in Horn und zum Öjendorfer See
- eine Tour auf dem Radwanderweg Grüner Ring 11 vorbei an fast allen Landschaftstypen der Stadt bis zum Altonaer Volkspark mit Abstecher in den Jyoti-Maiyya-Hindu-Tempel in Stellingen
- die Velo-Route 9 als Tour in die deutsche Vergangenheit mit Besuch der Gedenkstätte „Schule Bullenhuser Damm”.
Beispieltour: Von Billstedt über Horn zum Öjendorfer See
Nach einer Kennenlern-Übung am Treffpunkt Hein-Köllisch-Platz in St. Pauli wurden die Räder nochmal gecheckt und los geht es am Bismarck-Denkmal, am Michel und den Krameramtsstuben vorbei zum Mahnmal St. Nikolai. Die ehemalige Hauptkirche ist Hamburgs zentraler Erinnerungsort für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft der Jahre 1933 bis 1945. Sie wurde während der Luftangriffe auf Hamburg 1943 zerstört. Der Stopp hier bot einen Anlass, über vergangene, aber auch aktuelle Kriegsereignisse zu sprechen und dabei die Erfahrungen der Teilnehmer*innen einfließen zu lassen. Anschließend radelte die Gruppe über die Velostrecke Richtung Billstedt zum Öjendorfer See, einem Naherholungsgebiet, ideal für eine Pause.
Nach der Umrundung des Sees ging es zur Al-Nour-Moschee in Horn. Es handelt sich dabei um eine ehemalige evangelisch-lutherische Kirche, die nach langem Leerstand von einem islamischen Moscheeverein gekauft und in eine Moschee umgewandelt wurde. Von außen sieht das Gebäude aus wie eine Kirche, aber auf dem Kirchturm ist der arabische Schriftzug „Allah” zu lesen. Aufgrund der Covid-19-Pandemie konnte die Gruppe die Moschee leider nicht von innen besichtigen. Dennoch fanden die jungen Menschen diesen Umbau sehr interessant, da hieran die Religionsvielfalt Hamburgs deutlich wird. Es entstanden lebhafte Gespräche über die Frage der freien Religionsausübung sowie in Bezug auf die persönliche und auch gesellschaftliche Bedeutung unterschiedlicher Religionen im Alltag. Etwas müde, aber voller Eindrücke radelten die Teilnehmer*innen anschließend über das Berliner Tor, den Hauptbahnhof und durch die Hafen-City nach St. Pauli zurück.
Anregende Gespräche an verschiedenen Orten
„Es ist sehr viel einfacher, bei gemeinsamen Aktivitäten wie Besuchen von religiösen Stätten, Museen oder Gedenkstätten und in der Natur miteinander ins Gespräch zu kommen. Auch bei einem gemeinsamen Mittagessen entstehen Gespräche über das Erlebte. So können die Teilnehmer*innen die deutsche Sprache vertiefen und viel über kulturelle Vielfalt voneinander lernen“, sagt der Projektleiter Christian Bartels von der Hamburger vhs. „Wir haben auch erlebt, dass die Teilnehmer*innen mit anderen Besucher*innen an den verschiedenen Orten ins Gespräch gekommen sind. Die politische Beschäftigung mit verschiedenen Themen in einer fremden Sprache hilft den jungen Migrant*innen auch bei der Integration und Partizipation“, berichtet die Projekt- und Kursleiterin Petra Thomas, die die Idee für die „OnBike“-Touren entwickelt hat.
Freizeitangebot während der Pandemie
Die Bildungs-Fahrradtouren „On Bike“ der Hamburger Volkshochschule sind eine pandemietaugliche Form der Freizeitgestaltung in der Gruppe mit anderen jungen Menschen. Diese Ausflüge boten den jungen Teilnehmenden Möglichkeiten für Bildung, Erkundung und Spracherprobung sowie einen Raum für Austausch und Partizipation. Zudem schaffen sie Angebote, neue Interessen zu entdecken und Kontakte zu knüpfen. Viele Teilnehmer*innen meldeten später zurück, dass sie durch die Begegnungen Gemeinsamkeiten mit anderen entdeckt und Bekanntschaften geschlossen hätten, die auch zu weiteren gemeinsamen Unternehmungen geführt hätten.
Christian Bartels, Projektverantwortlicher der Hamburger VolkshochschuleWir lassen die jungen Menschen mitentscheiden und beziehen sie in die Planungsprozesse ein. Wir sprechen mit ihnen und nehmen ihre Anregungen und Interessen ernst.
Partizipativer Ansatz
Einige der jungen Teilnehmenden setzten sich im Vorfeld mit den geplanten Ausflügen und den ausgewählten Zielorten auseinander und übernahmen Teile der Tourenführung. Während der Radfahrten brachten die Teilnehmenden sich auf vielfältige Weise ein. „Der Zugewinn an partizipativen Optionen in Zeiten der Pandemie in Verbindung mit unterschiedlichsten Bildungserfahrungen hat sich als anregende und aktivierende Maßnahme herausgestellt“, so Christian Bartels.
Ideen für die Zukunft
Das Format wurde auch 2021 wieder ins Programm der Hamburger vhs aufgenommen. Dabei wurden einige der Verbesserungsvorschläge, die von den Projektleiter*innen und den Teilnehmenden eingebracht worden waren, bereits umgesetzt. Anfangs gab es mehrfach Probleme mit reparaturbedürftigen Fahrrädern. Inzwischen haben die Jugendlichen sich untereinander vernetzt und informieren sich gegenseitig, wenn gebrauchte Räder verkauft werden. „Die Jugendlichen treffen sich auch, um gemeinsam Fahrräder zu reparieren, und über ein Nachbarschaftsnetzwerk bekommen wir auch immer wieder Fahrräder, die die Jugendlichen nutzen können“, berichtet Petra Thomas. Wenn trotzdem einmal ein Zweirad fehlt, wird auf Leihräder zurückgegriffen.
Bei den ersten Touren waren zudem nur wenige junge Frauen dabei. Dies liege oftmals daran, dass sie nicht Fahrrad fahren könnten. Daher wurde die Idee entwickelt, Kurse zum Erlernen des Fahrradfahrens zu organisieren beziehungsweise mit Anbieter*innen solcher Kurse zusammenzuarbeiten. Dies führt mittlerweile tatsächlich bei den Radtouren zu einer höheren Beteiligung junger Frauen.
Ein Wunsch der Veranstalter*innen ist es, nicht nur mehr deutschsprachige Teilnehmende zu gewinnen sondern auch andere gemeinsame Ausflüge anzubieten – auch ohne Fahrräder, zum Beispiel Spaziergänge oder Schlittschuhlaufen. „Alle, die im Alltag nicht so oft die Gelegenheit haben, sich mit der Vielfalt der Menschen auseinanderzusetzen, haben bei unseren Ausflügen die Möglichkeit dazu. Sie sind meistens von der Offenheit der jungen Menschen sehr überrascht und erfreut“, so Christian Bartels.