Aufgrund der Corona-Pandemie pausieren alle Integrationskurse. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat daher ein Sonderprogramm zum digitalen Lernen ins Leben gerufen, das Online-Tutorien mit dem vhs-Lernportal fördert. Volkshochschulen und andere Bildungsträger können Lerngruppen einrichten und ihre Teilnehmenden online mithilfe des kostenlosen Lernportals betreuen. Seit Mitte April laufen die ersten Angebote. Wie klappt die Umsetzung in der Praxis? Dazu haben wir mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Volkshochschulen gesprochen.
Wie haben Sie die Lerngruppen gebildet und Teilnehmende angesprochen?
„Wir haben alle Teilnehmenden aus unseren Kursen – außer den Alpha-Kursen – per E-Mail angeschrieben und ihnen erklärt, dass sie online weiterlernen können. Zusätzlich haben auch die Kursleitenden Kontakt zu ihren Lernenden aufgenommen. Jetzt bieten wir 25 Online-Tutorien mit je 10 bis 15 Teilnehmenden auf den Niveaustufen A1 bis B1 an. Dabei haben wir versucht, möglichst die Teilnehmenden in ihrem ursprünglichen Kursverbund zu belassen und sie von der bisherigen Lehrkraft betreuen zu lassen. Wenn nicht die Mindestteilnehmerzahl von zehn, die wir uns selbst gesetzt haben, zusammengekommen ist, haben wir auch Interessenten aus mehreren Kursen zusammengelegt.“
Angelina Stern, Leitung Zentrum Deutsch als Fremdsprache bei der Hamburger Volkshochschule
„Wir haben zunächst ein Online-Tutorium beantragt und gestartet, um zu sehen wie es klappt. Dann haben wir sukzessive weitere eingerichtet. Für die erste Online-Lerngruppe haben wir den Integrationskurs mit dem höchsten Sprachniveau ausgewählt. Das war ein Kurs aus Modul 4.
Wir haben die Teilnehmenden per Post angeschrieben und ihnen die kostenlose online Lernmöglichkeit erklärt. Gleichzeitig haben wir eine Einverständniserklärung zum Datenschutz samt frankiertem Rückumschlag beigelegt und eine Anleitung zur Anmeldung. Dafür haben wir die Seite „Erste Schritte“ ausgedruckt. Zusätzlich hat die Kursleiterin jeden einzelnen Teilnehmenden angerufen und ist mit ihm oder ihr die Registrierung Schritt für Schritt durchgegangen.“
Maria Seiter, Fachbereichsleitung Digitalisierung vhs Bingen
„Wir haben die Teilnehmenden aus 17 Integrations- und Berufssprachkursen per Post angeschrieben, haben das Angebot in einfacher Sprache erklärt und um Rückantwort per E-Mail gebeten. Als Antwort mussten die Interessenten uns nur ihren Namen und Geburtsdatum nennen. Bei denjenigen, von denen wir nichts gehört haben, haben wir telefonisch nachgefragt, ob sie den Brief erhalten haben. Jetzt bieten wir 13 Online-Lerngruppen mit je 9 bis 16 Teilnehmenden an. Von A1-Niveau bis B2. Die A1-Gruppe ist ein Alpha-Integrationskurs. Sie war eigentlich am Beginn von A2. Wegen der langen Pause fanden wir es aber sinnvoll, nochmal zu wiederholen.“
Elke Moulin, Fachbereichsleiterin Sprachen und Integration an der vhs Schweinfurt
Wir haben zehn Online-Tutorien mit je 10 bis 15 Teilnehmenden eingerichtet. Etwa die Hälfte waren Kurse, die bereits seit längerem im Präsenzunterricht regelmäßig mit dem Lernportal gearbeitet haben. Das heißt, die Teilnehmenden und die Kursleitung kannten das Portal schon und waren im Umgang geübt. Das war in der jetzigen Situation natürlich sehr hilfreich. So hat die Umstellung leicht geklappt, sogar bei einem Alphabetisierungskurs. Diese Kurse haben wir als Lerngruppen bestehen gelassen.
Bei den übrigen Kursen, die das Portal noch nicht im Unterricht eingesetzt haben, haben wir die die Kursleitenden gebeten, den Lernstand einzuschätzen und haben die Teilnehmenden dann entsprechenden Kursniveaus zugeordnet. Wir haben alle per Post angeschrieben, mit einer bebilderten Anleitung. Den Link zum jeweiligen Kurs haben wir auch zusätzlich als QR-Code eingefügt. Gleichzeitig haben wir den Kurs-Link samt Kurs-Code auch als SMS versendet. So haben es viele direkt in den richtigen Kurs geschafft.
Rosa Scherff, Pädagogische Assistenz DaF/DaZ, Volkshochschule Oelde-Ennigerloh
Wie haben Sie die Teilnehmenden bei der Registrierung unterstützt?
„Wir haben allen, die sich zurück gemeldet haben, die „Erste-Schritte-Anleitung“ in verschiedenen Sprachen geschickt und den Link zum Video, in dem Nasrin das Lernportal vorstellt. Wir haben erklärt, dass sie sich registrieren sollen und den Kurs-Code eingeben müssen, den wir mitgeschickt haben. Dann haben wir stundenlang telefoniert. Denn vielen ist die Registrierung schwer gefallen oder sie sind nicht im richtigen Kurs gelandet. Wenn es sprachlich möglich war, haben wir am Telefon die Teilnehmenden Schritt für Schritt bei der Registrierung begleitet. Zum Teil habe ich aber auch einen Übersetzer zu Hilfe genommen. Oder wir haben die Teilnehmenden gebeten, sich untereinander zu helfen, wenn sie die gleiche Muttersprache sprechen oder wir gesehen haben, dass sie im gleichen Haus wohnen. Den Teilnehmenden aus den Alphakursen fiel es besonders schwer. Ihnen konnten dann aber oft auch ihre Kinder helfen. Auch die Kursleitenden haben unterstützt, haben Lernende angerufen oder Mails noch mal umformuliert.“
Elke Moulin, Fachbereichsleiterin Sprachen und Integration an der vhs Schweinfurt
„Beim Registrierungsprozess mussten die Kursleitenden helfen. Zum Teil haben die Lehrkräfte die Lernenden am Telefon Schritt für Schritt ins Portal gelotst.“
Angelina Stern, Leitung Zentrum Deutsch als Fremdsprache bei der Hamburger Volkshochschule
„Die Kursleitung hat jeden einzelnen Teilnehmenden angerufen und ist mit ihm oder ihr die Registrierung durchgegangen.“
Maria Seiter, Fachbereichsleitung Digitalisierung vhs Bingen
„Die Teilnehmenden wurden alle per E-Mail angeschrieben. Ich habe aber zusätzlich per WhatsApp Kontakt aufgenommen. Normalerweise hätte man die Registrierung im Präsenzkurs ja am Beamer demonstriert und gemeinsam gemacht. Das ging nun logischerweise nicht. Viele haben wenig Erfahrung mit Technik. Für sie war das eine große Hürde. Wer nicht klar gekommen ist, hat mir geschrieben. Ich habe dann zusätzliche Screenshots versendet und am Telefon Schritt für Schritt beim Registrieren unterstützt.“
Sabine Lorenz, Online-Tutorin im vhs-Lernportal
Wie kommt das Online-Lernen bei den Teilnehmenden an?
„Die Teilnehmenden sind total dankbar. Sie hatten seit sechs Wochen keinen Deutschkurs mehr. Jetzt schreiben sie mir begeistert, wie toll es ist, endlich wieder lernen zu können. Sie hatten Angst, alles zu vergessen und ihnen fehlte auch der feste Bezugspunkt, die Struktur im Tagesablauf“.
Sabine Lorenz, Online-Tutorin im vhs-Lernportal, Paritätisches Bildungswerk Bremen
„Seit die Kurse unterbrochen wurden, lief bei uns das Telefon heiß. Viele Lernende wollten weiter lernen. Nach dem Start des ersten Online-Tutoriums hat sich das zusätzlich rumgesprochen und wir bekamen noch mehr Nachfragen. Jetzt sind wir froh, dass wir den Lernenden endlich etwas anbieten können, um ihre Sprachkenntnisse zu festigen und auszubauen. Alle sind fleißig dabei, manche machen rund 20 Übungen pro Tag, obwohl nur zehn pro Woche gefordert sind.“
Maria Seiter, Fachbereichsleitung Digitalisierung vhs Bingen
„Von den Teilnehmenden haben wir viele positive Rückmeldungen bekommen. Sie sind sehr froh, dass sie jetzt etwas tun können. Wir sehen ja auch beim Lernstand, dass die meisten sehr fleißig üben. Wie stark man sich engagieren kann, hängt natürlich auch von der familiären Situation ab. Bei geengten Wohnverhältnissen und mit Kindern zuhause fällt das Lernen nun mal schwerer.“
Elke Moulin, Fachbereichsleiterin Sprachen und Integration an der vhs Schweinfurt
„Wenn sie die Registrierung gemeistert haben, kommen die Teilnehmenden sehr gut mit dem Lernportal klar. Viele bedanken sich, dass wir die Online-Betreuung anbieten und arbeiten sehr engagiert.“
Angelina Stern, Leitung Zentrum Deutsch als Fremdsprache bei der Hamburger Volkshochschule
Die Online-Tutorien werden sehr gut angenommen. Auch diejenigen, die das Lernportal noch nicht kannten, kommen gut klar, was uns sehr gefreut hat. Viele sind froh, dass sie zeitlich unabhängig lernen können, manche arbeiten um 12.00 Uhr nachts, andere um 6.00 Uhr morgens. Gerade für Familien mit Kindern, die ja jetzt auch alle zuhause sind, ist das so eine gute Möglichkeit.
Rosa Scherff, Pädagogische Assistenz DaF/DaZ, Volkshochschule Oelde-Ennigerloh
Wie hat sich die Kursleitung auf das Online-Tutorium vorbereitet?
„Insgesamt haben wir zehn Kursleitende für die 13 Tutorien im Einsatz. Alle Lehrkräfte haben an einer Schulung teilgenommen. Das war uns wichtig. Zwei der Kursleitenden kannten sich mit dem Lernportal schon besser aus. Diese beiden und wir zwei Mitarbeitende der vhs haben als Mentoren für die anderen fungiert. Wir haben zur Vorbereitung dann Testkurse eingerichtet und uns wechselseitig als Lerner in den Kursen der anderen registriert und viel ausprobiert, so dass sich alle vor dem Start der Tutorien sicher im Umgang mit dem Portal gefühlt haben.“
Elke Moulin, Fachbereichsleiterin Sprachen und Integration an der vhs Schweinfurt
„Wir haben einige unserer Mitarbeitenden als Multiplikatoren für das Lernportal ausbilden lassen, so dass wir unsere Kursleitenden selbst schulen konnten. Alle, die jetzt Tutorien anbieten, haben eine Schulung besucht.“
Angelina Stern, Leitung Zentrum Deutsch als Fremdsprache bei der Hamburger Volkshochschule
Wir hatten das Glück, Anfang März kurz vor der Schließung noch eine Präsenzschulung für unsere Lehrkräfte organisieren zu können. Ein Teil war auch schon im vergangenen Jahr geschult worden und hat das Portal bereits regelmäßig im Unterricht genutzt. Wir machen nun regelmäßig Video-Konferenzen und tauschen uns über die Erfahrungen mit den Online-Tutorien aus. Außerdem haben die Kursleitenden Lerntandems gebildet und unterstützen sich gegenseitig.
Rosa Scherff, Pädagogische Assistenz DaF/DaZ, Volkshochschule Oelde-Ennigerloh
Welche Rolle kommt der Kursleitung in den Online-Tutorien zu?
„Die Kursleitenden sind als Motivatoren ganz wichtig. Gerade bei den Lernungewohnten ist viel persönliche Ansprache und Kontakt nötig, um sie bei der Stange zu halten, wenn es keine regelmäßigen Kurszeiten mehr gibt, zu denen gemeinsam gelernt wird.“
Angelina Stern, Leitung Zentrum Deutsch als Fremdsprache bei der Hamburger Volkshochschule
„Unter meinen Teilnehmenden sind auch einige, die es nicht gewöhnt sind, selbständig zu lernen. Um sie zu motivieren und ein bisschen das Kursgefühl aufrecht zu halten, habe ich eine feste Uhrzeit verabredet, zu der wir alle gleichzeitig im Lernportal lernen. Ich schreibe dann immer eine kurze Erinnerung in die WhatsApp-Gruppe, kurz bevor es losgeht. Außerdem gibt es gibt viel Lob und positives Feedback von mir. Ich gebe den Teilnehmenden viele Übungen zum Wiederholen und Festigen des Gelernten. Mir ist es aber auch wichtig, dass sie freies Schreiben üben. Deshalb weise ich ihnen viele Aufgaben zu, die sie dann an mich zur Korrektur senden.“
Sabine Lorenz, Online-Tutorin im vhs-Lernportal, Paritätisches Bildungswerk Bremen
„Die Lehrkräfte geben Hilfestellung und betreuen die Teilnehmenden sehr intensiv. Sie beantworten Fragen und vor allem animieren sie die Teilnehmenden, ihre Aufgaben zu bearbeiten und geben motivierendes Feedback, über die Nachrichtenfunktion im Lernportal aber auch über bereits bestehende Kommunikationskanäle.“
Rosa Scherff, Pädagogische Assistenz DaF/DaZ, Volkshochschule Oelde-Ennigerloh
Haben die Online-Tutorien auch Anstöße für die Zeit nach Corona gegeben?
„Wir machen gerade Digitalisierung im Turbogang. Unter anderen Umständen hätten wir dafür sicherlich mehrere Monate oder Jahre benötigt. Jetzt sind die Kursleitenden offen für die neuen Möglichkeiten und sehen auch die Notwendigkeit. Denn auch nach Corona wird nichts sein wie zuvor. Vermutlich wird es noch eine lange Phase geben, in der wir Präsenzkurse mit Online-Lernen kombinieren.“
Angelina Stern, Leitung Zentrum Deutsch als Fremdsprache bei der Hamburger Volkshochschule
„Das Online-Lernen hat zu einem deutlichen Umdenken unter den Lehrkräften geführt. Viele, die früher skeptisch waren, haben gemerkt, wie wichtig das Digitale ist und möchten zukünftig viel stärker digitale Medien in den Präsenzunterricht integrieren. Keiner weiß ja derzeit, wie es weiter gehen wird. Sobald wir zumindest in kleinen Gruppen wieder vor Ort lernen können, werden wir alle, die bisher noch nicht mit dem Lernportal üben, schrittweise heranführen. Denkbar wäre, dass man die Hälfte der Gruppe in Präsenz unterrichtet, während die andere Hälfte online lernt. Und man wechselt wochenweise. So würde man die Vorteile von beidem kombinieren und könnte gleichzeitig den nötigen Abstand im Klassenraum einhalten.“
Maria Seiter, Fachbereichsleitung Digitalisierung vhs Bingen
„Bei den Lehrkräften, die das Lernportal noch nicht kannten, hat sich die Einstellung geändert. Sie sind begeistert und wollen auf jeden Fall das Lernportal auch im Unterricht nutzen, wenn Präsenzkurse wieder möglich sind.“
Rosa Scherff, Pädagogische Assistenz DaF/DaZ, Volkshochschule Oelde-Ennigerloh