Noch immer existiert die Fehleinschätzung, dass sich Jugendliche der „Generation Smartphone“ nicht für Politik interessieren. Einen völlig anderen Eindruck hinterließ dagegen der im Herbst 2019 von der vhs Starnberger See organisierte Lehrgang zum Erwerb des „Demokratieführerscheins“. Zielgruppe waren elf Jugendliche der Jugend-Feuerwehren Tutzing und Traubing.
Der „Demokratieführerschein“ basiert auf einem Konzept des Deutschen Volkshochschul-Verbandes, das nun zum ersten Mal in Oberbayern Anwendung fand. Sowohl die Jugendlichen als auch die organisierende Volkshochschule, der Dozent, die Tutzinger Kommunalpolitik und der Kooperationspartner Rotary Club Tutzing nahmen viele positive Erfahrungen daraus mit. Für die Feuerwehr war der Lehrgang zudem ein wichtiger Schritt, um die 3. Stufe der „Jugendflamme“ zu erlangen, eine begehrte Qualitätsauszeichnung für ihre Jugendarbeit.
Kommunalpolitische Zusammenhänge verstehen
Der „Demokratieführerschein“ soll anhand einer selbst gewählten Projektarbeit in die örtliche Kommunalpolitik einführen. Die Teilnehmenden bearbeiten dabei kein abstraktes Fallbeispiel, sondern eine Aufgabe, die sie selbst interessiert und die ihr unmittelbares Lebensumfeld betrifft. Das Wissen wird nicht über Frontalunterricht vermittelt, sondern über die praktische Arbeit. Eigenständig wird recherchiert, diskutiert und präsentiert. Auf diese Weise erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Einblicke in demokratische Grundlagen und politische Zusammenhänge. Sie lernen kommunalpolitische Entscheidungsträger und Institutionen kennen – wie zum Beispiel den Gemeinderat – sie sammeln Erfahrung mit einem Projekt und lernen, ihre Interessen effektiv in den politischen Prozess einzubringen. Dem Dozenten fällt neben vielen fachlichen Hilfestellungen die Moderation der Gruppen-, Diskussions- und Entscheidungsprozesse zu.
Der Lehrgang der vhs Starnberger See fand an insgesamt sechs Tagen zwischen dem 12. Oktober und dem 20. November 2019 statt. Die teilnehmenden Jugendlichen waren zwischen 13 und 17 Jahren alt und kamen von unterschiedlichen Schulformen. Für das Engagement, das sie an den Tag legten, spielte beides jedoch keine Rolle. Auch dass die Projekttage teilweise auf Wochenenden und in die Herbstferien fielen, trübte die Motivation zur aktiven Mitarbeit nicht. Für den Unterricht standen die Schulungsräume der Tutzinger Feuerwehr, der EDV-Raum der vhs Starnberger See und der Sitzungssaal des Tutzinger Gemeinderats zur Verfügung.
Gemeinsam etwas bewegen
Am ersten Tag des Lehrgangs wurde ein kritischer Blick auf die eigene Gemeinde geworfen: Was stört die Jugendlichen? Was könnte anders oder besser gestaltet werden? In drei Arbeitsgruppen entwickelten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eigenständig ihre Ideen und präsentierten sie anschließend im Plenum – ganz ohne Themenvorgabe durch die Volkshochschule, den Dozenten oder die Feuerwehr.
Während die erste Gruppe sich Gedanken über die Einführung einer Ehrenamtskarte in der Gemeinde machte, stellte die zweite eine Initiative zur Gewerbeförderung in Tutzing zur Diskussion. In demokratischer Abstimmung einigte man sich für ein gemeinsames Projekt anschließend auf den Vorschlag der dritten Arbeitsgruppe, die eine Verbesserung des Öffentlichen Personennahverkehrs in der Gemeinde anstrebte.
Während der Projektarbeit lernten die jungen Leute das kritische Recherchieren und Bewerten von Informationen aus dem Internet sowie das richtige Argumentieren anhand von Planspielen und durch Diskussionen mit externen Fachleuten. Als Gesprächspartnerinnen standen die Verkehrsmanagerin des Landratsamtes Starnberg, die Pressesprecherin der Evangelischen Akademie Tutzing sowie verschiedene Personen aus der Kommunalpolitik Rede und Antwort. Durch diese Praxisnähe erarbeiteten sich die Jugendlichen, unterstützt durch kurze theoretische Phasen, ein grundlegendes Wissen über die Kommunalpolitik und das von ihnen ausgewählte Themengebiet.
Wie fundiert und detailliert die Gruppe ihr Thema beleuchtet hatte, zeigte sich am Ende des Lehrgangs, als das Projekt zur Verbesserung des Öffentlichen Personennahverkehrs in einer Sitzung des Tutzinger Gemeinderats eingebracht wurde – ein echter Höhepunkt für die Jugendlichen! Drei Freiwillige der Gruppe übernahmen die Präsentation. Die Aufgabe führte verständlicherweise bei allen Beteiligten zu Herzklopfen, wurde aber souverän und schlagfertig gemeistert. Der letzte Projekttag hielt dann noch einen Abschlusstest bereit, den alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer problemlos bestanden.
Gute Vernetzung und viele positive Erfahrungen
Die Organisation des Lehrgangs gestaltete sich im Vorfeld aufwendig. So wussten bei Lehrgangsbeginn weder die Volkshochschule, noch der Dozent, geschweige denn die Jugendlichen selber oder die Feuerwehr, welches Projekt sie verfolgen würden. Ganz abgesehen davon, welche möglichen fachlichen Schwierigkeiten bei dessen Bearbeitung zu bewältigen waren. Um die – je nach Auswahl – erforderlichen externen Fachleute bei Bedarf hinzuziehen zu können, empfiehlt sich eine gute gesellschaftspolitische Vernetzung der organisierenden Volkshochschule. In unserem Fall gelang dies über die Beteiligung des Rotary Clubs Tutzing. Ebenso sollten bereits frühzeitig Kommunalpolitikerinnen und -politiker in die Organisation mit einbezogen werden, um gegebenenfalls als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen.
Der Lehrgang „Demokratieführerschein“ war für alle Beteiligten eine sehr positive, lehrreiche Erfahrung. Mit viel Engagement und Spaß konnte den Jugendlichen die Erkenntnis vermittelt werden, dass Demokratie und das eigene Lebensumfeld erfolgreich mitgestaltet werden können. Diese praktische Erfahrung ist gerade in einer Zeit der gesellschaftspolitischen Polarisierung, des Populismus und Nationalismus äußerst wichtig. Denn es wird allzu oft der Eindruck vermittelt, dass „die da oben“ ohnehin machten, was sie wollen, die Bürgerinnen und Bürger übergangen würden und keine Möglichkeiten zur Mitbestimmung hätten.
Fazit: Ein Projekt mit nachhaltiger Wirkung
Auch die Tutzinger Bürgermeisterin Marlene Greinwald und die Gemeinderäte waren von dem Interesse der jungen Menschen stark beeindruckt. Der Gemeinderat nahm das vorgestellte Projekt wohlwollend auf und beriet es Anfang Dezember nach dem Ende des Lehrgangs im Umwelt- und Verkehrsausschuss weiter. Dort durfte eine Abordnung der Jugendlichen erneut ihr Anliegen vortragen. Der Ausschuss fasste einen einstimmigen Empfehlungsbeschluss. Die Verwaltung sollte mit der Verkehrsbeauftragten des Landkreises Starnberg besprechen, wie die zusätzlich beantragten Haltestellen/Buslinien zu verwirklichen sind. Das Ergebnis ist, dass ab März 2020 eine Buslinie erweitert werden soll. Ebenso wurde über eine künftige stärkere Einbeziehung von Jugendlichen in die Politik nachgedacht – etwa durch die Einrichtung eines Jugendparlaments, das aktuell noch nicht in Tutzing existiert.