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Deutscher Volkshochschul-Verband

„trans* Menschen müssen sich ohne Einschränkung darauf verlassen können, dass sie nicht diskriminiert werden."

Im Rahmen des Jahresschwerpunktes "Zusammen in Vielfalt" haben wir Volkshochschul-Mitarbeiter*innen interviewt und sie zu den Themen Diversität und gesellschaftlicher Zusammenhalt befragt. Mit Alexandra Haas von der vhs Rhein-Sieg haben wir zum Thema "trans*Menschen in der Erwachsenenbildung" gesprochen.

Interviewreihe "Zusammen in Vielfalt"

Mit dem Jahresthema „Zusammen in Vielfalt“ machen Volkshochschulen im Jahr 2022 die Vielfalt ihrer Einrichtungen sichtbar und entwickeln sie weiter. Denn unsere Gesellschaft ist bunt: Menschen mit unterschiedlichen Biografien, Fähigkeiten und Lebensrealitäten prägen das Zusammenleben in unserer Gesellschaft und unsere Arbeit an den Volkshochschulen. Diese Vielfalt bietet Chancen und Potenziale. Studien zeigen: Dort, wo Vielfalt gefördert und gelebt wird, ist auch der Zusammenhalt stark. 

Über das ganze Jahr stellen wir Volkshochschulen und ihre Mitarbeiter*innen vor, die sich am Jahresschwerpunkt beteiligen. Das nächste Interview befasst sich mit dem Thema "trans* Menschen in der Erwachsenenbildung". An Volkshochschulen in ganz Deutschland nehmen trans* Menschen am Kursbetrieb teil, ob im ländlichen oder im städtischen Raum. Trans* Menschen sind nicht nur hier oft mit Diskriminierung und gesellschaftlichen Hürden konfrontiert.

Wie diese Hürden überwunden werden können und wie der Kursalltag für trans* Menschen erleichtert werden kann, haben wir Alexandra Haas gefragt. Sie ist Fachbereichsleiterin Deutsch, Prüfungszentrum, Pädagogische Kompetenz und Digitalisierung an der Volkshochschule Rhein-Sieg (Öffnet in einem neuen Tab), einer vhs im ländlichen Raum. 

Alexandra Haas, Fachbereichsleiterin an der vhs Rhein-Sieg

Wie sind ihre Erfahrungen mit der Teilnahme von trans*Menschen am Kursbetrieb?

Nach meiner Wahrnehmung hat sich in den letzten ein bis zwei Jahren einiges geändert, zum Teil in der vhs selber, sehr viel aber auch im immer selbstverständlicheren Auftreten von trans* Personen in der Gesellschaft. 

Früher hatte ich mit trans* Personen fast ausschließlich in Schulabschlusslehrgängen oder in meinem Fachbereich Deutsch zu tun. Die erste trans*Frau begegnete mir 2016 in einem Kurs für Geflüchtete. Sie war, natürlich noch mit altem Pass, als Mann aus dem Iran geflüchtet, und einer kleinen Kommune zugewiesen worden, die ausschließlich alleinstehende junge Männer zugeteilt bekam. Nun saß sie im Kurs, zusammen mit einem homosexuellen Paar aus dem Irak, zwischen 15 jungen, heterosexuellen Cis-Männern aus dem afrikanischen und arabischen Raum. 

Der Kurs war durchaus eine Herausforderung für alle Beteiligten, fast täglich verschoben sich die Grenzen, nach außen sichtbar in der Sitzordung: Heterosexuelle Cis-Männer saßen gegenüber den drei anderen Personen, dann wieder Muslime gegenüber Christen, Schwarze gegenüber weißen Personen. Die Kursleiterinnen machten jedoch einen großartigen Job und banden alle Teilnehmenden so ein, dass ein sinnvolles gemeinsames Lernen möglich wurde. 
Ähnliche Erfahrungen haben wir in den Schulabschlusslehrgängen gemacht, in denen Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen einen zweiten Anlauf nehmen, ihre Schulabschlüsse nachzuholen. Dies verbindet alle Lernenden, denn jede und jeder bringt hier die eigenen Geschichte mit, die zu diesem zweiten Anlauf führte. 
Mittlerweile begegne ich trans* Personen aber auch im freien Kursbereich, sowohl unter den Teilnehmenden als auch bei unseren Kursleitenden. 

Welche Rückmeldungen erhalten Sie von trans*Menschen, die an Ihren Kursen teilnehmen?

Die Rückmeldungen, die ich in meinem Fachbereich erhalte, sind nicht direkt mit dem freien Kursbereich zu vergleichen. Zum einen ist der Kontakt zu den einzelnen Teilnehmenden sehr viel intensiver, wir begleiten sie über eine lange Zeit. Die Teilnehmenden haben zudem eine sehr hohe Motivation, die Kurse abzuschließen, um sich in Deutschland verständigen zu können. Sie verbringen sehr viele Stunden in ihren Kursen, sodass hinreichend Zeit für gruppendynamische Prozesse zur Verfügung steht. 
Zum anderen ist aber auch die Erleichterung enorm, nun in Deutschland zu leben. Bei allen problematischen und diskriminierenden Erfahrungen im deutschen Alltag sind die Erlebnisse in den Heimatländern meist so dramatisch und für das eigene Leben gefährlich gewesen, dass ein Neubeginn in Deutschland durchweg positiv gesehen wird. 
Dementsprechend verzeihen trans* Personen, mit denen ich bisher zu tun hatte, auch viele kleine und größere Unaufmerksamkeiten oder Fehler, die mir in den Jahren meist aus Unwissenheit unterlaufen sind, z.B. in der Ansprache. 
Aber auch im freien Kursangebot freue ich mich über gelegentliche direkt Rückmeldungen, dass trans* Menschen sich aufmerksam und respektvoll behandelt fühlen. Wir haben unsere Arbeit gut gemacht, wenn sie das Gefühl haben, genau wie alle anderen in ihrem Wunschkurs willkommen zu sein. 

Was müssen Volkshochschulen tun, um ein sicherer Ort für trans*Menschen zu sein/werden?

Einen sicheren Lernort schaffen wir nur durch klare und transparente Regeln. Nicht nur trans*Personen müssen sich ohne Einschränkung darauf verlassen können, dass sie nicht diskriminiert werden. Dies ist in Deutschkursen durchaus ein Prozess, in dem viel ausgehandelt wird, denn jede und jeder bringt eigene Vorstellungen darüber mit, wer und was „normal“ ist, und wie man mit anderen Menschen zusammenlebt. 
Für das Lernen in einer vhs ist „sicher“ aber nicht annähernd genug. Erwachsenenbildung lebt von der Lust am Lernen, dem Gefühl, von der vhs angesprochen zu werden. Nach meiner Erfahrung ist Sichtbarkeit hier ein entscheidender Faktor: ob es eine kopftuchtragende Kursleiterin im Deutschkurs ist oder eine trans* Person, die im Kreativbereich unterrichtet, ob es Ankündigungstexte sind, die sich explizit an Menschen mit unterschiedlichen Identitäten oder ob wir bewusst diverse Gruppen auf Fotos in der Kurswerbung abbilden. Eine große Hilfe ist hier der Austausch mit Expert*innen, aber auch mit den verschiedenen Zielgruppen selbst, in Einzelgesprächen oder mit Betroffenenvertretungen. Jedes einzelne Gespräch macht die Planung unserer Angebote ein bisschen besser. 

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Bildnachweise

  • Fritz Funke info@fritzfunke.com