Interviewreihe "Zusammen in Vielfalt"
Mit dem Jahresthema „Zusammen in Vielfalt“ machen Volkshochschulen im Jahr 2022 die Vielfalt ihrer Einrichtungen sichtbar und entwickeln sie weiter. Denn unsere Gesellschaft ist bunt: Menschen mit unterschiedlichen Biografien, Fähigkeiten und Lebensrealitäten prägen das Zusammenleben in unserer Gesellschaft und unsere Arbeit an den Volkshochschulen. Diese Vielfalt bietet Chancen und Potenziale. Studien zeigen: Dort, wo Vielfalt gefördert und gelebt wird, ist auch der Zusammenhalt stark.
In den kommenden Monaten stellen wir Volkshochschulen und ihre Mitarbeiter*innen vor, die sich am Jahresschwerpunkt beteiligen. Das erste Interview führt uns in den Norden der Bundesrepublik mit Dr. Nana Kintz von der vhs Hamburg (Öffnet in einem neuen Tab).
Was verbinden Sie mit dem Schwerpunktthema „Zusammen in Vielfalt“?
Das Schwerpunktthema begegnet sehr aktuell den gesellschaftlichen Entwicklungen und erkennt an, dass wir als Gesellschaft nur gut zusammenleben können, wenn wir unsere Vielfalt und Unterschiedlichkeit (an)erkennen und gleichzeitig das Gemeinsame ins Zentrum rücken. Dabei beschreibt und berücksichtigt „Vielfalt“ die vielen Dimensionen von Diversität: Geschlecht, Nationalität, ethnische und soziale Herkunft, Religion/Weltanschauung, Behinderung, Alter sowie sexuelle Orientierung und Identität.
Inwieweit sind Diversität und gesellschaftlicher Zusammenhalt zentrale Bildungsaufgaben für (Ihre) Volkshochschule?
Da die Volkshochschule seit über 100 Jahren den Anspruch „Bildung für alle“ verfolgt, ist genau das ihre Kernaufgabe: allen in Deutschland lebenden Menschen unabhängig von den oben genannten Vielfaltsdimensionen lebenslanges Lernen zu ermöglichen. Ein Zugang zur Bildung und Weiterbildung ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit – die Aufgabe der vhs ist es, dies wirklich allen zu ermöglichen. Nicht nur der Mehrheitsgesellschaft, sondern auch allen unterrepräsentierten Gruppen, die sich an vielen Stellen des öffentlichen Lebens nicht angesprochen fühlen. Bildung und Teilhabe ermöglichen Mitsprache und Mitgestaltung der Gesellschaft. Wie der Inklusionsaktivist Raul Krauthausen vor einigen Tagen sagte: Teilhabe und Teilgabe ermöglichen das Teil sein.
Mit welchen Projekten / Bildungsangeboten reagieren Sie gezielt auf diesen Bedarf (kurze Projektskizzen, vorläufiges Fazit)?
Eine Säule der vhs in Hamburg ist der wahnsinnig große Bereich Zentrum für Drittmittel, Auftragsmaßnahmen und Grundbildung (ZeDAG), der sich u.a. an Bildungsbenachteiligte, arbeitslose Menschen, gering Literalisierte, Deutschlernende oder Menschen mit Hilfebedarf richtet und jährlich Abertausende von Teilnehmenden erreicht. Die andere Säule sind unsere offenen Bildungsangebote, die generell für alle zugänglich gestaltet sind. Darin enthalten sind aber auch Angebote für ganz bestimmte Zielgruppen, um diese entsprechend ihrer Bedürfnisse anzusprechen. Dazu zählt fachübergreifend eine ganze Reihe von inklusiven Kursen in Kooperation mit dem Bildungsnetz Hamburg, in denen qualifizierte Kursleitungen in besonderem Maße auch Teilnehmende mit unterschiedlichen Behinderungen sehr gut betreuen können. Ein besonderes Angebot ist auch das Offene Atelier für Menschen mit Demenz, das sich ganz den Bedarfen dieser besonderen Gruppe von Teilnehmenden anpasst, um ihnen Teilhabe an Kultureller Bildung jenseits ihres Pflegeumfelds zu ermöglichen. Durch weitere Kooperationen mit anderen Einrichtungen wie dem Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK) können wir Kompetenzen z.B. im Bereich Kolonialgeschichte fürs vhs-Programm fruchtbar machen und diese Themen einem breiteren Publikum näherbringen. Aus solchen Kooperationen entstehen auch Fortbildungen von Kursleitenden und Mitarbeitenden. Die Hamburger vhs arbeitet parallel zu diesen einzelnen konkreten Programmangeboten im Hintergrund an ihrer Organisationsentwicklung, zu der auch das große Thema Diversität gehört. Soviel ist schon klar: Wir haben noch viel vor.
Welche Herausforderungen stellen sich bei der Durchführung von Projekten und Kursangeboten im Themenbereich Vielfalt und Zusammenhalt?
Herausfordernd ist tatsächlich der Spagat zwischen Bildungsangeboten für alle und den beschriebenen Angeboten für bestimmte Zielgruppen. In unserem großen offenen Programm versuchen wir die große Spanne zwischen dem fordernden Philosophiekurs zu Platon und dem Kurs „Holzwerken für Menschen mit und ohne Behinderung“ abzudecken. Die Mainstream-Angebote sind natürlich viel einfacher zu planen und umzusetzen, aber die speziellen Angebote für besondere Lernbedarfe oder für schützenswerte Gruppen wollen wir ebenfalls unterbreiten. Diese haben aber besondere Gelingensbedingungen, in die viel Energie fließen muss. Eine große Schwierigkeit ist es, Gruppen zu erreichen, die noch nicht kommen. Wir denken, die Türen sind allen offen, aber sind sie das wirklich? Wie können wir wirklich allen die herzliche Einladung der vhs vermitteln?
Wie können Volkshochschulen ihrem Leitspruch „Bildung für alle“ gerecht werden?
Ich denke, es ist wichtig auf Augenhöhe gemeinsam mit den Menschen zu schauen, was sie für eine gute Weiterbildung brauchen. Wir müssen kontinuierlich weiter daran arbeiten, noch einladender zu werden und Schwellen zu senken, um die Teilhabe von allen zu ermöglichen. Das ist ein nie endender Prozess und auch eine Querschnittsaufgabe von der Haustechnik bis zur Leitungsebene. Das kann alles gut gelingen, wenn wir machtkritisch und privilegienbewusst unsere eigene Bildungsarbeit reflektieren und die vhs-Landschaft nach außen und – ganz wichtig – auch nach innen diverser gestalten.