Jüngere gehören nicht zur Risikogruppe – oder doch?
Die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie seit dem 23. März 2020 bedeuten auch – vielleicht sogar insbesondere – für junge Menschen tiefgreifende Einschränkungen. Der vorliegende Beitrag skizziert auf Basis empirischer Daten mögliche Folgen dieser Einschränkungen für Jugendliche und junge Erwachsene. Dazu wird ein Überblick gegeben über Unterschiede, aber auch Ähnlichkeiten in den Antworten jüngerer und älterer Teilnehmender in einer Studie mit über 3.000 Befragten während der ersten zwei Wochen der bundesweiten Einschränkungen (ein ausführlicher Bericht über erste Ergebnisse (Öffnet in einem neuen Tab) ist online frei verfügbar). Wie hoch war die Akzeptanz der verhängten Maßnahmen unter jüngeren im Vergleich zu älteren Befragten? Welche Quellen nutzten jüngere Befragte, um sich über das Corona-Virus zu informieren? Wie anfällig waren und sind junge Menschen womöglich für politisch-ideologische Angebote wie Verschwörungsmythen, für die die Covid-19-Pandemie der ideale Nährboden zu sein scheint (Jolley & Lamberty 2020)? Und über welche psychischen Belastungen berichten Befragte unterschiedlicher Altersgruppen während der Corona-bedingten Einschränkungen? Es scheint, soviel sei vorweggenommen, dass jüngere Befragte mit Blick auf die Covid-19-Pandemie zwar medizinisch nach aktuellem Stand nicht als „Risikogruppe“ einzustufen sind, aber dennoch zunehmend zu einer der Gruppen werden, die mittel- und langfristig unter den Folgen der Pandemie leiden.
Unterschiede und Ähnlichkeiten in den Einschätzungen jüngerer und älterer Befragter
Nachfolgend wird über Ergebnisse für „jüngere“ und „ältere“ Befragte berichtet. Die erste Gruppe umfasst Personen zwischen 18 und 26 Jahren (555 Befragte), die zweite Gruppe Personen zwischen 27 und 84 Jahren (2.509 Befragte). Jüngere Befragte waren im Durchschnitt etwa 23, ältere Befragte etwa 48 Jahre alt. Für die gesamte Studie gilt, dass deutlich mehr weibliche als männliche Personen teilnahmen – bei den Jüngeren noch mehr (78 % weiblich) als bei den Älteren (70 % weiblich). Dies sollte bei der Interpretation von Unterschieden zwischen beiden Gruppen berücksichtigt werden.
Akzeptanz der Schutzmaßnahmen
In der Diskussion um die Akzeptanz von Schutzmaßnahmen während der ersten Wochen schwang nicht selten die Sorge mit, jüngere Menschen würden diese womöglich weniger verlässlich mittragen, weil sie keiner der benannten Risikogruppen angehörten oder den Ernst der Lage unterschätzten. Eine solche Diskrepanz lässt sich anhand der vorliegenden Daten nicht zeigen. Das Verständnis für die verhängten Maßnahmen war während der ersten Wochen insgesamt groß. Dies galt sowohl für jüngere als auch für ältere Befragte, zwischen deren Antworten sich nur unwesentliche Unterschiede fanden. Wenn überhaupt, so zeigt sich eine Diskrepanz darin, dass jüngere Befragte das Verhängen von Ausgangssperren als sinnvoller einschätzten als ältere.¹
Für die Arbeit mit Jugendlichen mag dies ein weiteres Indiz dafür sein, dass viele der Vorbehalte, die zu Beginn der Covid-19-Pandemie gegenüber dieser Altersgruppe geäußert wurden, ungerechtfertigt waren. So zeigte sich schon in der ersten Welle des Covid-19-Snapshot-Monitorings (COSMO 2020), dass sogenannte „Corona-Partys“ extrem selten waren (nur 3 % der Befragten berichteten davon). Auch die aktuellen Ergebnisse attestieren jüngeren Befragten ein anfänglich sehr hohes Verantwortungsbewusstsein und ein großes Verständnis für die verhängten Maßnahmen. Vor diesem Hintergrund wäre es nachvollziehbar, dass die jungen Menschen bei langem Anhalten der Schutzmaßnahmen – gerade wegen der anfangs starken positiven Resonanz – womöglich nachlässiger werden oder Widerwillen entwickeln. Unsere Daten legen jedoch nahe, dass dabei an eine grundlegend hohe Akzeptanz der Notwendigkeit auch unter jüngeren Menschen appelliert werden kann.
Verschwörungsmythen um das Corona-Virus und die Pandemie
Verschwörungserzählungen können definiert werden als Annahmen darüber, „dass als mächtig wahrgenommene Einzelpersonen oder eine Gruppe von Menschen wichtige Ereignisse in der Welt beeinflussen und damit der Bevölkerung gezielt schaden, während sie diese über ihre Ziele im Dunkeln lassen“ (Nocun & Lamberty 2020, S. 18). Insbesondere in durch Unsicherheit geprägten Krisenzeiten sind Menschen empfänglich für Verschwörungserzählungen. Diese sind ein nicht zu unterschätzendes Problem, weil sie mit erhöhter Gewaltbereitschaft einhergehen – vereinfacht gesagt: Wenn eine übermächtige geheime Gruppe im Verborgenen zum Schaden der Bevölkerung agiert, dann ist jedes Mittel recht, dies zu unterbinden (Rees & Lamberty 2019). Im Kontext der Covid-19-Pandemie wurde zuletzt der Glaube an verschiedene Verschwörungserzählungen mit der (Nicht-)Einhaltung von Schutzmaßnahmen in Verbindung gebracht (Imhoff & Lamberty, im Druck). Auch anhand der vorliegenden Daten lässt sich zeigen, dass Befragte, die an Verschwörungserzählungen glaubten, Schutzmaßnahmen für weniger sinnvoll hielten.²
Die Zustimmung zu Verschwörungsmythen hing in unseren Daten schwach, aber systematisch mit der Nutzung von sozialen Medien und Messenger-Diensten zur Auseinandersetzung mit dem Corona-Virus zusammen.³ Dies mag ein Grund dafür sein, warum unter jüngeren Befragten die Zustimmung zu beiden angeführten Aussagen insgesamt höher ausfiel als unter älteren Befragten. Jüngere Befragte hatten sich zwar in den ersten zwei Wochen der bundesweiten Einschränkungen durchschnittlich etwas weniger intensiv über das Corona-Virus informiert als ältere Befragte (durchschnittlich 166 Minuten vs. 191 Minuten am Tag). Sie informierten sich aber wie zu erwarten tendenziell eher in sozialen Medien und Messenger-Diensten. In einer repräsentativen Befragung ließ sich zuletzt kein systematischer Zusammenhang zwischen Verschwörungsglaube und Alter der Befragten finden (Rees & Lamberty 2019), insofern mögen die hier gefundenen Abweichungen auf die unterschiedlichen Wege der Auseinandersetzung zurückzuführen sein.
Die Implikationen von Verschwörungsmythen für die Arbeit mit jungen Menschen und Themen, die in diesem Kontext zu bearbeiten wären, können hier nur angerissen werden. Es ist wichtig, Kompetenzen zur kritischen Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Quellen zu vermitteln (Medienkompetenz). Außerdem sollten Konzepte wie Rücksicht und Solidarität oder der (gewaltfreie) Umgang mit Konflikten thematisiert und reflektiert werden. Grundsätzlich scheint uns bei der Arbeit mit jungen Menschen eine erhöhte Sensibilität für Verschwörungserzählungen sinnvoll. In Phasen der Suche nach Orientierung und Identität, aber auch aufgrund ihrer generellen Mediennutzung, mögen Jugendliche besonders empfänglich für solche Deutungsangebote sein. Selbstverständlich sollten Träger*innen, wie die Volkshochschulen, in ihren Möglichkeiten gestärkt werden, Jugendlichen auch in Krisenzeiten entsprechende Bildungsangebote zu machen.
Psychische Belastungen während der Corona-Krise
Die gravierendsten Unterschiede zwischen den beiden Altersgruppen bestehen in Bezug auf die berichteten psychischen Belastungen. So zeigt sich zum einen, dass sich jüngere Befragte zwar weniger als ältere um ihre eigene Gesundheit und Versorgung sorgten⁴, sie zugleich aber über ein deutlich stärkeres Ausmaß an Wut berichteten, wenn sie an das Corona-Virus und seine Folgen dachten⁵. Zudem gaben jüngere Befragte in den ersten Wochen der Corona-bedingten Schutzmaßnahmen an, weniger persönlichen Kontakt zu Menschen außerhalb des eigenen Haushaltes zu haben als ältere⁶. Diese Ergebnisse legen die Interpretation nahe, dass die Covid-19-Pandemie und ihre Folgen für junge Menschen gerade aufgrund der geringen eigenen Gefährdung, bei gleichzeitig hoher Akzeptanz für die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen, in besonderem Maße frustrierend und belastend sind. Dieser Umstand bildet sich augenscheinlich auch in den berichteten psychischen Belastungen ab.
Längsschnittliche Untersuchungen können Aufschluss darüber geben, ob diese psychischen Belastungen unter jungen Erwachsenen während der Corona-Krise in besonderem Maße zunehmen. Das höhere Ausmaß an psychischer Belastung mag unmittelbare Folge der Corona-Krise sein, könnte jedoch auch Indiz einer generell erhöhten Prävalenz psychischer Belastungen unter jungen Menschen sein oder eine Interaktion beider Faktoren widerspiegeln. In jedem Fall untermauern die Daten, dass die psychische Gesundheit junger Erwachsener in Krisenzeiten in besonderem Ausmaß gefährdet scheint. Dieser Befund deckt sich mit solchen aus anderen Studien, die einen deutlichen Anstieg depressiver Symptome während der Pandemie in der Gruppe der 18- bis 25-Jährigen verzeichnen (z. B. Süddeutsche Zeitung 2020). Umso wichtiger erscheint daher derzeit in allen Bereichen der Arbeit mit jungen Menschen eine erhöhte Sensibilität für mögliche psychische Belastungen, Veränderungen und Auffälligkeiten sowie eine aktive Unterstützung bei der Inanspruchnahme psychosozialer Hilfsangebote. In der außerschulischen Jugendbildung tätige Personen sollten darauf hinweisen, dass teils dringend indizierte diagnostische und therapeutische Maßnahmen nicht länger als nötig hinausgezögert werden. Natürlich sind die Angebote hierfür unter den gegebenen Umständen vielfach eingeschränkt, doch fehlt es insbesondere jungen Betroffenen noch häufig an Bewusstsein und Möglichkeiten, auf diese bestehenden Mängel hinzuweisen und Hilfe einzufordern.
Langfristiges Risiko: Psychosoziale Folgen
Der verantwortungsvolle Umgang Jugendlicher mit der Covid-19-Pandemie wurde, so scheinen es die hier zusammengetragenen Analysen nahezulegen, insbesondere zu Beginn der bundesweiten Maßnahmen oft zu Unrecht infrage gestellt. Sie informierten sich ähnlich ausführlich und verhielten sich ähnlich verantwortungsbewusst wie ältere Befragte. Der Frust über anhaltende Einschränkungen mag in dieser Altersgruppe gerade angesichts der anfangs hohen Akzeptanz zunehmen. Eine Präferenz für soziale Medien und Messenger-Dienste scheint diese Gruppe zudem etwas anfälliger für Verschwörungserzählungen zu machen. Der Themenkomplex verdient aber auch deswegen über die Pandemie hinaus Aufmerksamkeit in der Jugendarbeit, weil die Auseinandersetzung mit solchen Erzählungen als Einstieg in eine Radikalisierungsspirale fungieren kann. Besonders auffällig scheint uns allerdings die Häufigkeit, mit der jüngere Befragte über psychische Belastungen während der Corona-bedingten Einschränkungen berichten. Hier kann Jugendarbeit ansetzen, aber professionelle Psychotherapie natürlich nicht ersetzen. Die Sensibilität der Altersgruppe und die Relevanz des Umgangs mit potenziellen Erstmanifestationen psychischer Erkrankungen legen nahe, dass junge Menschen in Deutschland zwar nicht zu den spezifischen Risikogruppen des Corona-Virus selbst zählen mögen, in besonderem Ausmaß jedoch zu den Risikogruppen für die psychosozialen Folgen der Corona-Krise gehören.
Fußnoten
¹ t(3058) = 3,46, p = ,001.
² Dies gilt mit Zusammenhängen zwischen r = -,30 und -,22 insbesondere für die Einschränkung sozialer Kontakte und des öffentlichen Lebens und weniger ausgeprägt, aber in derselben Richtung, für die Einschränkung von Reisefreiheit, r = -,22 bis -,14.
³ Schwache positive, aber signifikante Zusammenhänge zwischen r = ,40 und ,06.
⁴ t(879) = 8,74, p < ,001.
⁵ t(776) = 7,50, p < ,001.
⁶ t(2610) = 4,64, p < ,001.