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Deutscher Volkshochschul-Verband

Jugendpartizipation in Zeiten von Corona

Wie verändert sich politische Partizipation von Jugendlichen in Zeiten der Covid-19-Pandemie und sozialer Distanz? Wie können Anbieter politischer Jugendbildung die jungen Menschen bei ihrem Engagement unterstützen und begleiten? Diesen Fragen geht Alexander Wohnig in seinem Beitrag nach.

Unter den aktuellen Bedingungen sozialer Distanz in Zeiten der Covid-19-Pandemie stellen sich u. a. für Träger der politischen Jugendbildung Fragen, wie sich Jugendpartizipation verändert und wie das Ziel, junge Menschen bei politischer Partizipation zu begleiten, aufrechterhalten werden kann. Der Beitrag geht diesen Fragen nach. Er analysiert die, steigende Bedeutung politischer Partizipation für Jugendliche und die aktuellen Veränderungen von Jugendpartizipation, skizziert den Umgang junger Menschen mit diesen Veränderungen und hebt abschließend die Funktion politischer Jugendbildung – wie die der Volkshochschulen – als Innovationsraum für „Neues“ hervor.

Steigende Bedeutung politischer Partizipation für Jugendliche

Politisch partizipierende Jugendliche sind in der öffentlichen Debatte in den letzten Jahren wieder in den Fokus geraten, vor allem durch die Fridays-for-Future-Bewegung. Zum einen waren die Reaktionen ablehnend, die Teilnahme an Demonstrationen wurde als „Schule schwänzen“ diffamiert, zum anderen gab es Zustimmung, gelabelt als Ankündigung gesellschaftlichen Wandels in der Klimakrise. Tatsächlich zeigt sich, dass die Klimathematik und ein steigendes Bewusstsein der Bedeutung des eigenen politischen Engagements bei Jugendlichen in einem Zusammenhang stehen (Albert et al. 2019). Zudem besteht eine Verbindung zwischen der eigenen aktiven politischen Partizipation (z.B. durch eine Demonstrationsteilnahme) und der Auseinandersetzung mit politischen Inhalten (Sommer et al. 2019). Politische Partizipation setzt informelle Bildungsprozesse in Gang (die wiederum von non-formaler und formaler Bildung aufgenommen werden) und bildet demokratische Werte aus (van Deth 2017). Politische Partizipation ist nicht nur Ziel politischer Bildung, sondern kann auch ein Weg sein, um politische Wissensaneignung und Urteilsbildung anzubahnen. Gleichzeitig lässt sich, trotz dieser positiven Einschätzungen, auch feststellen, dass bei den Akteur*innen der Proteste eine Unzufriedenheit mit den (nicht) beschlossenen politischen Entscheidungen zur Bekämpfung der Klimakrise und damit auch mit der Resonanz der Politik auf die Forderungen der Fridays-for-Future-Bewegung besteht. Der Einfluss Jugendlicher auf den Diskurs wird als groß eingeschätzt, sie sind medial präsent und werden teilweise als Agendasetter*innen beschrieben. Die Auswirkungen ihres Engagements auf reale politische Entscheidungen werden von den Engagierten selbst jedoch als zu marginal angesehen. Einen erheblichen Einfluss auf politische Partizipation und die damit einhergehenden Mitbestimmungsmöglichkeiten Jugendlicher hat der Faktor der Ungleichheit: Die wahrgenommenen, fremdzugeschriebenen und selbst zugeschriebenen Einflussmöglichkeiten und der reale Einfluss hängen mit intersektionalen Ungleichheitsfaktoren wie ökonomischer Ungleichheit, Bildungsungleichheit oder Migration zusammen. Auch die reale Zusammensetzung der Protestbewegung spiegelt das ungleiche Bild wider: So sind 65% der Teilnehmer*innen an Fridays-for-Future-Demonstrationen Angehörige der oberen Mittelschicht oder der Oberschicht, es sind, im Vergleich zum Anteil an der Gesamtbevölkerung, prozentual doppelt so viele Akademiker*innenkinder vertreten. 98% der Teilnehmer*innen sind in Deutschland geboren (Sommer et al. 2019).

Eine Protestaktion von Fridays For Future vor dem Reichstag am 24. April 2020

Jugendpartizipation in Zeiten der Covid-19-Pandemie

Die Covid-19-Pandemie hat Auswirkungen auf Jugendpartizipation: Unter den Bedingungen der erzwungenen sozialen Distanz ist politische Partizipation im öffentlichen Raum nahezu unmöglich, zumindest in Form von öffentlichkeitswirksamen Massenkundgebungen. Gleichzeitig steigen die Zahlen von solidarischen kommunalen Initiativen und Stadtteilinitiativen als Orte der zivilgesellschaftlichen Partizipation. Trotz der aktuellen Einschränkungen finden junge Menschen Wege nicht nur für soziales Engagement, sondern auch, um ihren politischen Protest in die Öffentlichkeit zu tragen. Die Fridays-for-Future-Bewegung hat beispielsweise am 24. April 2020 in den sozialen Medien massenhaft protestiert, indem zum Beispiel Bilder und Videos auf Twitter, Instagram usw. veröffentlicht wurden. Zudem wurden vor dem Reichstag in Berlin hunderte Protestschilder niedergelegt. Ein anderes Beispiel ist die Seebrücke, eine internationale Bewegung, die sich für sichere Fluchtwege, eine Entkriminalisierung der Seenotrettung und eine menschenwürdige Aufnahme von Geflüchteten einsetzt, und an der auch viele Jugendliche beteiligt sind. Die Seebrücke hat im April 2020 in Frankfurt am Main bei Einhaltung der Abstandsregelungen im öffentlichen Raum demonstriert und ihre Forderungen mit Transparenten in die Öffentlichkeit getragen. Die Versammlung wurde aufgelöst, was Protest von Teilen der Zivilgesellschaft und von Verfassungsrechtler*innen zur Folge hatte. Welche langfristigen Auswirkungen die auch rechtlich durchgesetzte soziale Distanz in Zeiten der Covid-19-Pandemie auf Jugendpartizipation haben wird, ist unsicher. Es stellt sich die Frage, ob sich der Protest über das Internet längerfristig organisieren und anschließend wieder auf die Straße bringen lässt.

Politische Jugendbildung als Innovationsraum für politische Partizipation

Die aktuellen, Covid-19-bedingten Einschränkungen der Möglichkeiten, im öffentlichen Raum zu partizipieren, schaffen für politische Bildung Lernnotwendigkeiten, aber auch Lerngelegenheiten auf verschiedenen Ebenen (Wohnig 2020). Auch unter den Bedingungen sozialer Distanz ist es Aufgabe außerschulischer Jugendbildung, Möglichkeiten für reale politische Partizipation zu schaffen. Welche Formen politischer Partizipation können in den digitalen Raum überführt werden und welche Möglichkeiten gehen in Zeiten sozialer Distanz verloren? Wie verschieben sich dadurch möglicherweise Machtverhältnisse und Einflussmöglichkeiten verschiedener (marginalisierter) Gesellschaftsgruppen, wie zum Beispiel von Jugendlichen und Jugendbewegungen (wie Fridays for Future)? Träger der politischen Jugendbildung wie die Volkshochschulen sollten diese Fragen inhaltlich reflektieren. Und sie müssen sich fragen, welche Bildungskonzepte, Inhalte und Methoden in den digitalen Raum übertragen werden können und welche Einschnitte dabei zu verkraften sind.

In Zeiten erzwungener sozialer Distanz können Angebote der außerschulischen politischen Jugendbildung auch Neues wagen. Sie nehmen eine Vorreiterrolle ein und sind daher dafür prädestiniert, innovative Bildungssettings, Inhalte und Methoden zu entwickeln (Schröder 2014: 253). Denkbar sind Seminare, in denen eine inhaltliche Auseinandersetzung mit einer Thematik zu aktiver politischer Partizipation führt, indem pädagogisch begleitet Online-Partizipationsformen (wie Petitionen, Kampagnen über Soziale Medien usw.) ausprobiert und reflektiert werden. Die Klimathematik bleibt auch in Zeiten der Covid-19-Pandemie für junge Menschen zentral, und es ist wahrscheinlich, dass sich die Konfliktlagen in Zukunft noch verschärfen. Es bieten sich viele Anknüpfungspunkte zur aktuellen Situation. So kann man darüber diskutieren, inwiefern sich die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie auf die Klimakrise auswirken, oder darüber, wie man selbst die Einschränkungen (in der Bewegungsfreiheit, im Konsumverhalten usw.) erlebt. Online-Tools können Möglichkeiten für gemeinsames politisches Lernen, Diskussionen, kollaboratives Zusammenarbeiten (zum Beispiel an Texten) und politische Partizipation bieten. Kooperationen zwischen Schulen und Volkshochschulen können in der Praxis Angebote ermöglichen, die Schule ohne außerschulischen Bildungspartner nur schwer realisieren können, wie beispielsweise Erfahrungen mit realem politischen Handeln. Zweifelsohne sind zentrale Faktoren, die den außerschulischen Bildungsraum so besonders und „anders“ machen – das Reisen zu einem „anderen Ort“, das gemeinsame Essen und Übernachten, das auch physische Kennenlernen interessanter Erwachsener (Pädagog*innen), die Freizeit- und informellen Austauschmöglichkeiten usw. – unter Bedingungen sozialer Distanz ausgesetzt. Dies, und ebenso die zu beobachtende Reproduktion von Ungleichheit im digitalen Raum, muss in der Profession der politischen Jugend- und Erwachsenbildung reflektiert werden, sollte jedoch nicht dazu führen, die Möglichkeiten digitaler Bildungssettings vollends auszuschließen.

Die außerschulische politische Jugendbildung sollte sich als ein „Labor für Neues“ – für neue Bildungsideen und -konzepte, neues Zusammendenken von politischem Lernen und politischem Handeln, neue Ideen des Zusammenlebens – begreifen, gerade in Zeiten der Covid-19-Pandemie. Dabei sollte sie politisch-strukturelle Analysen von Problemen ermöglichen, die für Jugendliche bedeutsam sind. Jungen Menschen müssen Freiräume geschaffen werden, in denen sie erstens demokratische Umgangsweisen ausprobieren und erfahren können, wie dies beispielsweise auch die Offene Kinder- und Jugendarbeit als Ziel beschreibt (Sturzenhecker 2013), und in denen sie zweitens auch politisch handeln können. Zu reflektieren, wie dies im digitalen Raum funktionieren kann, welche Grenzen es gibt und welche Folgen daher die temporären Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte auf politische Partizipation und politische Einflussmöglichkeiten haben, muss aktuell eines der zentralen Ziele politischer Jugendbildung sein, die sich in einem offensiven Verständnis zu politischer Partizipation als Bildungsziel (Widmaier/Nonnenmacher 2011) bekennt. Dieses Selbstverständnis liegt auch den Volkshochschulen zugrunde.

Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise

  • Getty Images / mustafahacalaki
  • 2020 Getty Images / Sean Gallup / Staff