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Deutscher Volkshochschul-Verband

(Un-)Politische Bildung für nachhaltige Entwicklung?

Hanna Butterer analysiert die Ambivalenzen nachhaltiger Entwicklung und die damit verbundene Bildung für nachhaltige Entwicklung. Zudem geht sie auf die Rolle der außerschulischen politischen Jugendbildung ein und plädiert dafür, eine kritisch-emanzipatorische politische Bildung innerhalb des BNE-Diskurses zu stärken.

von Hanna Butterer

In den vergangenen Jahrzehnten entstanden im Umfeld der politischen Bildung vielfältige Bildungsansätze, die den Umgang mit gesellschaftspolitischen Herausforderungen und sozial-ökologischen Krisen aufgreifen. Ansätze wie die Umweltbildung oder das Globale Lernen haben sich aus sozialen Bewegungen heraus entwickelt und wurden primär in Räumen außerschulischer Bildung ausgestaltet (vgl. Overwien 2015, Weselek 2023). Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) hingegen erwuchs aus der Entstehung und Formulierung des globalpolitischen Leitbildes einer nachhaltigen Entwicklung. Sie gilt im deutschsprachigen Raum zunehmend als Dach, unter welchem Inhalte und Schwerpunkte der verschiedenen Ansätze vor dem Hintergrund des Konzepts einer nachhaltigen Entwicklung verflochten werden sollen (vgl. Engagement Global 2016: 31). In diesem Beitrag werden zunächst die Ambivalenzen nachhaltiger Entwicklung skizziert und die damit verbundene BNE analysiert. Abschließend wird auf die Rolle der außerschulischen politischen Jugendbildung eingegangen, um eine kritisch-emanzipatorische politische Bildung innerhalb des BNE-Diskurses zu stärken.

Ambivalenzen nachhaltiger Entwicklung

Vor 50 Jahren kritisierten die Warnungen des Club of Rome die westlich-industriellen Produktions- und Konsumweisen (vgl. Meadows 1972), und die erste UN-Konferenz zur Umwelt des Menschen in Stockholm 1972 legte den Grundstein für eine globale Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik. Diese beschränkt sich nicht auf ökologische Krisen, sondern zielt darauf ab, soziale, ökologische und ökonomische Dimensionen zu verbinden und als globale Verantwortung zu sehen. Mit dem Brundtland-Bericht (Hauff 1987) wurde nachhaltige Entwicklung anschließend als Entwicklung definiert, „die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ (Hauff 1987: 46). 2015 wurde dieses Grundgerüst unter dem Mantra „Leave no one behind“ von den Vereinten Nationen in der Agenda 2030 als globaler Plan für eine Transformation unserer Welt weiterentwickelt und in 17 – teils im Widerspruch zueinander stehenden – Nachhaltigkeitszielen (engl. Sustainable Development Goals; kurz: SDGs) ausbuchstabiert (UN 2015). Durch die Widersprüchlichkeit, etwa zwischen dem Schutz des globalen Ökosystems und einem ungebremsten Wirtschaftswachstum (vgl. u. a. Martens 2018: 118), können die SDGs nicht nur als Ziel-, sondern auch als Problemhorizont des ihnen eingeschriebenen Verständnisses einer (nicht-)nachhaltigen Entwicklung gelesen und in Bildungskontexten aufgegriffen werden (vgl. Kehren/ Winkler 2019: 373). So kritisiert beispielsweise der Politikwissenschaftler Ingolfur Blühdorn (2018), dass der globale Norden durch die entschiedene Verteidigung „unserer Freiheit, unserer Werte und unseres Lebensstils“ keinen transformativen Wandel, sondern vielmehr eine „Gesellschaft der Nicht-Nachhaltigen-Nachhaltigkeit“ etabliert. Während individuelles Verhalten mit Blick auf nachhaltiges Einkaufen, Reisen und Wohnen als Antwort für strukturelle Probleme in den Vordergrund rückt, werden systemkritische Auseinandersetzungen mit kolonialen Kontinuitäten, Geschlechterungerechtigkeiten oder Klassismus in der Debatte um eine nachhaltige Entwicklung häufig marginalisiert. Das Konzept des ökologischen Fußabdrucks verdeutlicht dieses subjektivierte Nachhaltigkeitsverständnis, das sich auf den individuellen Lebensstil und die Souveränität der Konsument*innen beschränkt (vgl. Weselek 2023: 374).

BNE als bildungspolitische Antwort für eine nachhaltige Entwicklung

Seit der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro wird Bildung als manifester Lösungsort für die globalpolitische Vision einer nachhaltigen Entwicklung herangezogen. So wurde bereits in der Agenda 21, dem Abschlussdokument der Konferenz, gefordert, dass sowohl formale als auch nichtformale Bildung zu einem Einstellungswandel der Menschen beitragen sollen, indem Werte und Verhaltensweisen hervorgebracht werden, die mit einer nachhaltigen Entwicklung vereinbar sind und zu einer wirksamen Beteiligung der Öffentlichkeit an der Entscheidungsfindung führen (Vereinte Nationen 1992: 329). 30 Jahre später befinden wir uns bildungspolitisch im “Decade of Action” (UNESCO 2021: 12), einem Jahrzehnt, in dem „BNE eine Schlüsselrolle für die erfolgreiche Umsetzung aller 17 SDGs und für die große individuelle und gesellschaftliche Transformation, die zur Bewältigung der dringenden Herausforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit erforderlich ist“, zugeschrieben wird (UNESCO 2021: 68). BNE soll fortan nicht nur helfen, nachhaltige Lebensweisen zu verfestigen, sondern auch strukturelle Veränderungen, kritisches Denken und transformatives Handeln in den Vordergrund rücken. Während Verbindungen zur politischen Bildung unverkennbar sind, spiegelt sich hier auch ein Trend wider, der Bildung – und v. a. auch der politischen Bildung – schon immer eingeschrieben ist: „Pädagogik soll richten, was politisch nicht gelingt“ (Euler 2014). Durch diese „Pädagogisierung globaler Krisen“ (Kehren 2016: 136 ff.) wird Lehrenden wie auch Lernenden eine politische Verantwortung für (nicht-)nachhaltige Entwicklung und globale (Un-)Gerechtigkeit übertragen (vgl. Eis 2022: 200), die einer „bildungsutopische[n] Hoffnung“ (Hamborg 2020: 168) gleicht. Analog zum subjektivierten Nachhaltigkeitsdiskurs werden Interessenskonflikte, Machtasymmetrien und komplexe, diskriminierende Zuschreibungen oft verschleiert, wenn der Fokus auf die individuelle Ebene der Lernenden gerichtet wird (vgl. Weselek 2023). Gleichzeitig werden strukturelle Analysen nachhaltigkeitsbezogener Probleme und Konflikte in bildungspolitischen Rahmenprogrammen – und auch in der Praxis – vernachlässigt. Daher kann man von einer Entpolitisierung der Nachhaltigkeitsproblematik im Rahmen der BNE sprechen (vgl. Kehren 2021, Weselek 2023). Dieses Spannungsverhältnis, in dem sich BNE bewegt, wird auch deutlich, wenn v. a. im internationalen Diskurs zwischen BNE 1 und BNE 2 unterschieden wird: Während erstere im Kern die Vermittlung sogenannter qualifizierter Verhaltens- und Denkweisen in den Vordergrund rückt, soll BNE 2 zu kritischem Denken ermutigen und Widersprüche, die einem nachhaltigen Leben innewohnen, ergründen (vgl. Vare/Scott 2007). 

BNE als politischer Lernprozess in der außerschulischen politischen Jugendbildung

Getragen durch das Ziel, ökologische, ökonomische und soziale Fragen integrativ zu denken, sind Bildungsprozesse um nachhaltigkeitsbezogene Fragen immer dann auch politische Fragen, wenn die Konflikthaftigkeit des Konzeptes Nachhaltigkeit sowie damit verbundene Widersprüche zum Gegenstand von Bildungsprozessen werden (vgl. Overwien 2015). Methodisch wird für die schulische politische Bildung neben Zukunftswerkstätten oder partizipativen und projektorientierten Lernangeboten auf die Notwendigkeit von Kooperationen mit außerschulischen Partnern hingewiesen (u. a. Grundmann 2017: 238, Butterer/ Wohnig 2019). Auch im Nationalen Aktionsplan BNE wurde die Relevanz von außerschulischen Bildungsorten als „Innovationspotenzial zur Umsetzung und Verwirklichung von BNE“ betont (NAP 2017: 68). BNE kann als politischer Lernprozess in der außerschulischen politischen Jugendbildung Räume zur Politisierung von nachhaltigkeitsbezogenen Themen öffnen, in denen (1) Konflikte, die für Jugendliche bedeutsam sind, strukturell analysiert und (2) Perspektiven für politische Partizipation ermöglicht und reflektiert werden (vgl. Wohnig 2021: 39). Eine politisch-emanzipatorische Auseinandersetzung mit nachhaltigkeitsbezogenen Themen kann Anlass sein, um „ein sachhaltiges Verstehen der herrschenden Nicht-Nachhaltigkeit zu ermöglichen“ (Kehren 2021). Die globalpolitische Leitperspektive einer nachhaltigen Entwicklung kann dabei vor dem Hintergrund von Kategorien wie Soziale Ungleichheit, Neokolonialismus und (Hetero-)Sexismus kritisch hinterfragt werden. Es geht dann darum, dass Lernende wie auch Lehrende gemeinsam Wachstums-, Konsum- oder Naturverhältnisse infrage stellen und neu denken. Gleichzeitig bedarf es einer kontinuierlichen Reflexion über Privilegien und historisch gewachsene Macht- und Herrschaftsverhältnisse sowie eine Offenheit dafür, sich kritisch damit auseinanderzusetzen. So kann in der außerschulischen politischen Jugendbildung ein Raum für „Lernprozesse der Selbst- und Weltaneignung in der Auseinandersetzung mit anderen“ geöffnet werden, „um Wege zu finden, das Bestehende nicht nur mitzugestalten und zu reproduzieren, sondern individuell und kollektiv handelnd zu verändern“ (FfE:2019) und dies dann auch praktisch zu tun und zu reflektieren.

Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise

  • Getty Images / FatCamera
  • Didaktik der Sozialwissenschaften der Uni Siegen