von Katharina Reinhold
Templin und die Erinnerung an jüdisches Leben
Die Stadtgeschichte Templins ist eng mit jüdischem Leben verknüpft, seit 1320 lebten Jüdinnen und Juden in der Stadt in der Uckermark. Zahlreiche Orte zeugen davon, doch vielen Menschen ist dies gar nicht bewusst. Leider gab es auch immer wieder antisemitische Diskriminierungen, Ausgrenzungen, Verbannungen und Pogrome in der Stadt. „Auch heute werden die Zeichen zur Erinnerung an die Juden in Templin immer wieder beschädigt oder zerstört“, berichtet die damalige Leiterin der Regionalstelle Templin der Kreisvolkshochschule Uckermark Dr. Teodora Ansaldo. Im Rahmen des Themenjahrs „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ organisierte die vhs im Sommer 2021 in Templin in Kooperation mit zwei Schulen ein Theaterprojekt, um Jugendliche für das Thema zu interessieren und um sie für Antisemitismus zu sensibilisieren.
Bereits seit 2007 erforschen Templiner Schüler*innen unter der Leitung des Religionslehrers Holger Losch jüdische Lebensgeschichten und antisemitische Vorfälle in ihrer Stadt. „Die Ergebnisse sind beeindruckend. Nicht nur zahlreiche Fakten kamen ans Licht, sondern auch individuelle Schicksale“, berichtet Dr. Teodora Ansaldo. Es entstanden verschiedene sichtbare Zeichen der Erinnerung an jüdisches Leben in Templin, wie das neue Tor des jüdischen Friedhofs, das nach einem Entwurf einer Schülerin gestaltet wurde, sowie ein Gedenk-Stern in der Nähe der ehemaligen Synagoge.
Emotionale Zugänge durch ortsspezifisches Theater
Während einer Projektwoche vom 16. bis zum 20. August 2021 setzten sich 19 Schüler*innen aus dem Bildungsgang Sozialwesen des Oberstufenzentrums sowie eine Schülerin des örtlichen Gymnasiums intensiv mit der Geschichte der Jüdinnen und Juden in Templin auseinander und entwickelten ortsspezifische Szenen, die sie der Öffentlichkeit präsentierten.
Eine Stadtführung mit Holger Losch am ersten Projekttag weckte das Interesse der Schüler*innen für die jüdische Geschichte in ihrer Stadt. Sie waren beeindruckt davon, dass schon vor ihnen Schüler*innen zu diesem Thema geforscht hatten und dass diese Projekte zu bleibenden und sichtbaren Ergebnissen geführt hatten.
Anschließend begannen die Teilnehmer*innen mit eigenen Recherchen zu jüdischem Leben und mit theaterpraktischen Übungen. Die Projektleiterinnen, die Theaterpädagoginnen Elisa Moser und Flo Strass, stellten am zweiten Tag die Spielorte vor: Mikwe, St. Georgenkapelle, Mühlenstraße 28, jüdischer Friedhof und Marktplatz. Die Jugendlichen konnten sich selbst für einen der Orte entscheiden. In Kleingruppen hatten sie dann zwei Tage Zeit, Szenen für diese Orte zu entwickeln. Sie recherchierten Informationen über das Thema und den Ort, schrieben selbst die Texte und probten ihre Szenen. Es entstanden Texte über persönliche Eindrücke, Gefühle und spannende Dialoge – teilweise unter Verwendung von Originalquellen.
Dabei betrachteten die Schüler*innen die Vergangenheit aus heutiger Perspektive. Sie machten selbst Entdeckungen und setzten sie in Szene. So zum Beispiel die Taufe eines jungen Juden in der Kapelle im Jahr 1749. Drei Jugendliche lasen aus der Original-Taufrede vor, während eine andere Schülerin die Rede aus heutiger Perspektive kommentierte und die Gründe der Taufe in Zeiten der Diskriminierung hinterfragte. Während der Arbeit vor Ort erlebten die Jugendlichen heutigen Antisemitismus hautnah. Bei Proben am Jüdischen Friedhof begegnete einer Gruppe ein Fahrradfahrer, der einen judenfeindlichen Witz erzählte. Diese Begegnung floss später in die Aufführung ein – die Jugendlichen fragten sich und das Publikum, wie man darauf hätte reagieren können.
Aufführung auf dem Marktplatz
Am Freitag, den 20. August, fand nach einer Durchlaufprobe die Aufführung statt – um 12 Uhr auf dem belebten Marktplatz während des Wochenmarktes. Die stellvertretende Bürgermeisterin von Templin, Annette Nitschmann, eröffnete die Veranstaltung und lobte das Engagement der Jugendlichen. Zwei Klassen des Oberstufenzentrums und eine Klasse des Gymnasiums sowie Passant*innen und Interessierte waren ein aufmerksames und begeistertes Publikum, das den Schauspieler*innen zu den verschiedenen Spielorten folgte. Auch die Lokalpresse war zugegen und berichtete über das Projekt.
Dr. Teodora Ansaldo, ehemalige Leiterin der Regionalstelle Templin der Kreisvolkshochschule UckermarkDurch das Projekt fanden die teilnehmenden Jugendlichen einen persönlichen und emotionalen Zugang zum jüdischen Leben und zur jüdischen Geschichte in ihrer Stadt. Sie verstanden, dass die Geschichte der Juden untrennbar mit der gesamten Entwicklung der Stadt verbunden ist.
„Sie spürten ihre eigene Kraft und Wirkung und lernten, ihre Meinung öffentlich zu äußern, sich gegen Vorurteile und Diskriminierungen zu engagieren. Und vielleicht hat ihnen das Projekt auch Anstoß gegeben, in ihrem Umfeld Veränderungen in Gang zu setzen“, resümiert Dr. Teodora Ansaldo.
„Jede*r Teilnehmer*in hatte das Gefühl, wichtig für das Projekt, für die Stadt und für die Zukunft zu sein. Die begeisterte Reaktion des Publikums ließ sie erfahren, dass sie aktiv agieren können, um Sachen zu ändern, und dass sie Gehör finden“, sagte die Lehrerin Kathrin Parol, die das Projekt gemeinsam mit Dr. Teodora Ansaldo organisiert hatte. „Bei der Aufführung traten alle Schauspieler*innen sicher und mit starker Präsenz auf. Ihre emotionale Teilnahme war sichtbar und ergriff auch die Zuschauer*innen“.
Das Projekt wurde durch zahlreiche Fotos dokumentiert und es entstand eine Broschüre, die an die Teilnehmenden und an verschiedene Organisationen und Stellen wie die Schulen, das Stadtarchiv und die Stadtbibliothek verteilt wurde. So sollen das Projekt und die Erkenntnisse nachhaltig in Erinnerung bleiben und andere Menschen dazu motiviert werden, sich gegen Antisemitismus und für eine Kultur der Erinnerung zu engagieren.