Von Bianka Gericke
Stirnrunzelnd und kichernd sitzen fünfzehn Teilnehmende beim „Europe Quiz“ im Vortragsraum der Schweriner Schelfschule. Die „EU-Bürgerin“ Kerstin Kutzer hat sich den Hut aufgesetzt und lässt eine gute Tradition der vhs nach vierjähriger coronabedingter Pause neu aufleben. Das obligatorische English-Quiz widmet sich diesmal europäischen Themen – auf humorvolle Weise.
Die erfahrene Kursleiterin und heutige Qualitätsbeauftragte der städtischen Volkshochschule hat fünf Teams bilden lassen, die zu dritt Lösungen für die auf Englisch gestellten Fragen finden und auf einem Zettel notieren müssen. Da geht es um geografische Rekorde, kulinarische oder sprachliche Kuriositäten, aber auch um politisches Wissen. Gewonnen haben übrigens die „Quiz Witches“ mit achtzehn von zwanzig Punkten. Allen hat dieser Abend sichtlich Spaß gemacht, und sie erhalten am Ende eine Urkunde sowie kleine Give Aways, die Fachbereichsleiterin Catrin Materna extra vom unweit entfernten Europa-Ministerium besorgt hat – mit der Begründung: „Wir haben ja ein europäisches Jahr“.
Susanne Kapellusch, Direktorin vhs SchwerinEuropa- und Demokratiebildung muss eine Herzenssache sein, die Spaß macht.
„Zieht sich durch alle Bereiche …“
Das „Europe Quiz“ ist in der Tat nur eine von zahlreichen Veranstaltungen zum Jahresschwerpunkt Europa, den sich das kleine Team der vhs ins Programm geschrieben hat und auch umsetzt. Wenige Tage zuvor eröffnete die vhs die zweisprachige Wanderausstellung „Mensch – Müll – Meer“, die für Ostsee-Anrainer wie Mecklenburg-Vorpommern ein akutes Problem beleuchtet. Die ausgestellten, am Strand angeschwemmten Gegenstände veranschaulichen, wie sehr die Meere bereits verschmutzt sind. Die stellvertretende Direktorin Birgit Krumme wirkt nachdenklich angesichts der Tatsache, wie lange es braucht, bis die Kunststoffnetze im Wasser verrotten – nämlich 600 Jahre. Bis zu 10.000 Netzteile gingen jährlich allein in der Ostsee verloren, so eine Schätzung des WWF Polen. „Die Ausstellung von MARLISCO ist ein Gemeinschaftsprojekt von 15 EU-Ländern und passt zum Semesterthema. Wir haben sie bewusst gleich ins Foyer platziert, sodass alle, die reinkommen, daran vorbeimüssen: sowohl die Teilnehmenden als auch die Kinobesucher.“ Denn in der ehrwürdigen vhs-Aula – hoch über den Dächern von Schwerin – bietet ein Verein wöchentlich Programm-Kino. Klar, dass im „Kino unterm Dach“ derzeit besonders viele europäische Produktionen laufen.
„Europa? Das sind für uns zwei Handlungsebenen: die personelle und die inhaltliche“, erklärt Birgit Krumme. So sei Samantha Goff-Stieger die erste Mitarbeiterin nichtdeutscher Herkunft. Und bei den Kursleitenden setze sich dieser Trend erfreulicherweise fort. Ein wichtiges Anliegen sei die Sensibilisierung der Kursleitungen für Teilnehmende aus aller Welt. Nicht ohne Grund habe die vhs Schwerin gemeinsam mit schwedischen, italienischen und slowenischen Einrichtungen der Erwachsenenbildung Lehrmaterialien für Workshops im Rahmen des Erasmus+-Projekts EMPOWER[1] erarbeitet. Dort sollen Migrantinnen unternehmerische Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen erwerben. „Diese Materialien werden derzeit in weitere Sprachen übersetzt und finden so europaweit Anwendung in Kursen“, betont Birgit Brumme nicht ohne Stolz.
Die Menschen für Europa begeistern
Allen im Team sei wichtig, die Schweriner Bevölkerung für das Thema Europa mit Herz und Haptik zu begeistern. Das schwedische „Midsommar“ und das „Sankt Hans“ Fest Ende Juni werden auch immer mehr in Deutschland gefeiert. Damit auch die Schweriner*innen die traditionellen skandinavischen Speisen zu diesem Fest zubereiten können, gibt es vorab einen entsprechenden Kochkurs.
„Wer noch tiefer in die dänische Sprache eintauchen möchte, kann dies auch im Dänischkurs tun. Nicht zuletzt leben in Dänemark laut dem World Happiness Report die glücklichsten Menschen. Dieses ‚hygge-Gefühl‘ möchten wir natürlich in unseren Kursen weitergeben. Gerade in Mecklenburg-Vorpommern waren einige Orte und Regionen unter schwedischer bzw. dänischer Herrschaft. Diese Verbindungen innerhalb des Ostseeraumes spürt man immer noch“, sagt Krumme, die Skandinavistik und Nordische Geschichte studiert hat. Das Ostsee-Thema sei deshalb auch keine Eintagsfliege aus Anlass der EU-Wahl. „Wir ziehen das durch alle Fachbereiche. Geplant ist noch eine Vortragsreihe über Kulturstätten in Schlesien, wir vermitteln alte europäische Handwerkstechniken oder kochen mit unseren Teilnehmenden bekannte Speisen weiterer europäischer Nachbarn. Am besten sind natürlich fachübergreifende Angebote. So gehörte zu den ersten Ausstellungsbesucher*innen die Abendklasse vom ‚Campus am Turm‘, die ihren Schulabschluss nachholt und nun das Thema in Englisch und Geografie weiter diskutiert.“
„Wenn ich König von Europa wär’…“
Überhaupt hat das Team der vhs Schwerin den „Campus am Turm“ mit verschiedenen Europa- und Demokratiethemen „bestückt“. Den zweiten vhs-Standort in einer Großsiedlung der 1980er Jahre mit ihren diversen sozialen Problemen gibt es seit 2009. Er wurde 2019 saniert. Den vollständigen Campus mit Stadtteilschule, Bildungsgarten, Konservatorium, Familienberatungsstelle und Bürgerzentrum übergab Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern erst kürzlich am 4. April 2024.
„Wir haben hier einen Ort, wo wir unser Zielpublikum erreichen. Da sich dort alle Altersgruppen treffen, können wir passgenaue Angebote unterbreiten und haben zudem jene Träger mit im Haus, die im persönlichen Kontakt zu den Menschen stehen. Denn ohne direkte Ansprache kommen sie leider nicht“, konstatiert Susanne Kapellusch, Leiterin der Volkshochschule Schwerin. Vor ihrer Leitungstätigkeit betreute sie acht Jahre hier oben auf dem „Großen Dreesch“ den Zweiten Bildungsweg. Und an diesen richtet sich primär das Kursprojekt „Wenn ich König von Europa wär’ …“, angelehnt an Rio Reisers bekannten Song und unterstützt vom DVV und dem BMFSFJ. „Mit dem Team von planpolitik organisieren wir diese Workshopreihe kurz vor den Europa- und den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen, für die viele Jugendliche aus den Grundbildungskursen zum ersten Mal wahlberechtigt sind, auch weil das Wahlalter auf 16 Jahre abgesenkt wurde.“ Die Erstwähler sollten Ideen dafür sammeln, was sie an Europa ändern würden. Dass da einiges zusammenkommt, ist sich Kapellusch sicher: „Es hat sich als positiv herausgestellt, die politischen Themen mit anderen pädagogischen Ansätzen und durch andere Personen zu vermitteln, ergänzend zum Unterrichtsstoff aus Sozialkunde, Geschichte und Geografie.“
Resignation und Segregation entgegenwirken
Susanne Kapellusch und ihr Team sehen noch einen langen Weg vor sich, warum sie an dieser Methode festhalten wollen. Verschwörungstheorien, Radikalisierungstendenzen und Resignation wären auch in Mecklenburg-Vorpommern spürbar. Dem wolle man entgegentreten. So seien diese Planspiele zum Thema Europa nur der Auftakt für weitere Veranstaltungen der politischen Jugendbildung. Als Gastgeberstadt für das diesjährige Fest zum „Tag der Deutschen Einheit“ hätten sie in Kürze einen weiteren aktuellen Anlass für Demokratiebildung. Man werde dafür systematisch Impulse auf dem „Campus am Turm“ setzen – auch solche, die die Teilnehmenden von der Schelfschule in der Altstadt hier herauf zum Schweriner Fernsehturm „locken“.
Die moderne Bildungsstätte bietet nämlich hervorragende Unterrichtsbedingungen, die sich in dem denkmalgeschützten Gebäude der Altstadt nicht ohne Weiteres etablieren lassen, etwa ein weiteres PC-Kabinett oder das moderne Kochstudio. „Und es gibt – anders als in der Innenstadt – genug Parkplätze sowie eine Straßenbahnhaltestelle vor der Tür, was für Ältere ein wesentliches Argument ist“, erklärt die Leiterin der Volkshochschule. Der Frauenchor, die Senioren-PC-Kurse oder die kulinarische Reise durch Europa im Kochstudio seien Beispiele dafür, der ausgeprägten Segregation der Schweriner Bevölkerung entgegenzuwirken.
Auch in umgekehrter Richtung versucht die vhs, die Menschen aus der Großsiedlung in die historische Residenzstadt zu bewegen, zum Beispiel mit einer besonderen Museumsführung durchs Schweriner Schloss, das übrigens im Juni UNESCO-Welterbe werden soll und zugleich Sitz des Landtages ist. „Damit schlagen wir gleich drei Fliegen mit einer Klappe: die Jugendlichen lernen ihre Stadt besser kennen, kommen raus aus ihrem Stadtteil und können sich aktiv mit europäischer Geschichte befassen, wobei wir das nicht als Monstranz durch die Kurse tragen. Europa- und Demokratiebildung muss eine Herzenssache sein, die Spaß macht. Deshalb laufen solche Themen in vielen Kursen unter dem Radar“, fasst Susanne Kapellusch die Intention ihres Europa-Jahresprogramms zusammen.
Und die „Quiz Witches“? Die durchforsten das Internet nach weiteren europäischen Rekorden, damit es beim nächsten Europe-Quiz heißt: „Twenty Points for Europe“.
Bianka Gericke arbeitet als Journalistin und Layouterin.
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