Wie finden junge Geflüchtete ihren Platz in der Gesellschaft? Im Rahmen des von der Zentralstelle für Politische Jugendbildung ausgeschriebenen Sonderprojekts „EinLeben” bot das Bildungszentrum im Bildungscampus der Stadt Nürnberg ein dreitägiges Videoprojekt für junge Teilnehmer*innen an. Zu den selbst gewählten Interviewthemen Europawahl, Gesundheit und Freizeit und deutsches Bildungssystem führten die 13 Jugendlichen Interviews mit Passant*innen in der Nürnberger Innenstadt. Am dritten Tag entwickelten sie daraus gemeinsam ein 15-minütiges Video.
Miriam Mersch und Riccarda Christina Lang, Kursleiterinnen am Bildungszentrum im Bildungscampus der Stadt NürnbergUnser Ziel war es, dass die jungen Teilnehmenden erkennen, dass verschiedene Personen unterschiedliche Meinungen zu demselben Thema haben können, was ein Ausdruck gesellschaftlicher Diversität ist. Während des Projekts wurden sie nicht nur in puncto Medienkompetenz geschult, sondern konnten sich parallel auch mit lebensweltnahen Themen auseinandersetzen.
Handwerkszeug für das Führen von Interviews
Zu Beginn erwarben die Teilnehmer*innen das Handwerkszeug für die praktische Umsetzung der Interviews. In drei Kleingruppen erarbeiteten sie einen Fragenkatalog zu ihrem jeweiligen Thema. Dabei übten sie, die eigene Meinung zurückzustellen und sich im Team auf konkrete Frageformulierungen zu einigen. Die Teamarbeit gefiel den meisten sehr gut. Darüber hinaus befassten sich die Jugendlichen auch mit verschiedenen Fragestilen, z. B. der Unterscheidung zwischen offenen und geschlossenen Fragen, und der Wichtigkeit, eine Einverständniserklärung der Interviewpartner*innen einzuholen. Im weiteren Verlauf erklärten ihnen die Kursleiterinnen zudem wichtige technische Details: von der Kameraführung über die Tontechnik bis hin zur Nutzung von Videoschnitt-Programmen.
Auseinandersetzung mit anderen Weltbildern
Ein Großteil der Teilnehmer*innen hatte aufgrund anderer Muttersprachen noch Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. Daher war das Formulieren von Interviewfragen und die verbale Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt durch die Interviewmethode ein zentrales Anliegen des Projekts. Viele der jungen Erwachsenen hatten in ihrem Alltag wenig bis keine Berührungspunkte mit Deutsch-Muttersprachler*innen. Indem sie im Verlauf des Videoprojekts Interviews mit Passant*innen führten, wurde ihr Selbstbewusstsein gestärkt und eine Beschäftigung mit den Perspektiven anderer Menschen angeregt.
Sie mussten ihre „Komfortzone“ verlassen und fremde Mitmenschen ansprechen, auch wenn ihr Deutsch noch nicht perfekt war. Die Mehrheit der befragten Passant*innen gab sich jedoch gesprächsbereit und stellte sich den Fragen der jungen Teilnehmenden. Diese Erfahrung führte bei einigen dazu, dass sie sich nun vorstellen können, künftig mit deutschsprachigen Mitbürger*innen in Kontakt zu treten, ohne sich aufgrund der eigenen Sprachkompetenzen im Deutschen minderwertig oder sprechunfähig zu fühlen. Dieser positive Effekt, der bereits aus der Erlebnispädagogik bekannt ist, wurde von den beiden Kursleiterinnen mit Freude zur Kenntnis genommen und als Erfolg bewertet.
Zusammenstellung unterschiedlicher Themen und Meinungen im Video
Das zum Abschluss produzierte, 15-minütige Video zeigt einen Zusammenschnitt der Interviewfragen und -antworten und spiegelt ein breites Spektrum unterschiedlicher Themengebiete und Meinungen wider. „Da nur ausgewählte Teile des Rohmaterials im finalen Produkt verwendet werden konnten, mussten die jungen Leute sich im Zuge von Diskussionen und demokratischen Abstimmungen auf die zu verwendenden Videosequenzen einigen. Das hat super geklappt“, so Riccarda Christina Lang.
Kritische Mediennutzung als Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft
Ein wichtiger Fokus des Projekts lag zudem darauf, die Unterschiede in der Fragestellung und ihre Effekte auf die Antworten der Passant*innen kennenzulernen und somit deren Reaktionen antizipieren und verstehen zu können. Bei der kritischen Reflexion der Videos wurde vor allem thematisiert, dass mediale Angebote immer von der subjektiven Sichtweise der beteiligten Journalist*innen geprägt sind. Die Teilnehmenden lernten, dass es aus diesem Grund unabdingbar ist, sich anhand unterschiedlicher Medien und Berichterstattungsformate über ein Themengebiet zu informieren. Nur so ist eine freie, individuelle und sachlich fundierte Meinungsbildung möglich, die für eine emanzipierte, demokratische Gesellschaft unverzichtbar ist.
Dieser Artikel wurde von Stephanie Becker verfasst.